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Hungrige Bulgaren stürmen Bäckereien

■ Weltbank fordert Preisfreigabe für Getreide. Regierung gibt Reserven frei

Sofia (dpa/AP) – In Bulgarien ist Brot so knapp geworden, daß Hungrige bereits Bäckereien und Lebensmittelgeschäfte zu plündern versuchen. Viele Gemeinden haben eine Rationierung von einem Brotlaib pro Person und Tag eingeführt.

In Blagoewgrad im Südwesten des Landes wurde nach Presseberichten eine Brotfabrik gestürmt. Die Polizei verhinderte jedoch, daß die Eindringlinge Brot entwendeten. In Russe an der Donau kam es zu Schlägereien in den Warteschlangen. Eine Frauenorganisation drohte der Regierung, die Bevölkerung zu Aufständen und Plünderungen aufzurufen.

Der Ansturm auf Bäckereien und Brotfabriken war offenbar durch eine Erklärung von Ministerpräsident Stefan Sofijanski ausgelöst worden. Dieser hatte am Freitag abend im Fernsehen gesagt, die Regierung werde die letzten Getreidereserven freigeben, doch reichten sie nur für etwa 15 bis 20 Tage. Die Tageszeitung Demokratsija schrieb am Samstag, im Land gehe das Mehl aus, und in den meisten Regionen gebe es kein Brot mehr.

„Das düstere Bild der Brotkrise, das von den Medien gezeichnet wird, entspricht der Wahrheit“, sagte Sofijanski. Bis zur nächsten Ernte werden 450.000 bis 500.000 Tonnen Getreide benötigt, vorhanden sind höchstens 20.000 Tonnen. Die staatlichen Reserven liegen bei 80.000 Tonnen. Würde Getreide zu Weltmarktpreisen importiert, müsse der Preis für einen Laib Brot von derzeit 300 auf 2.000 Lew steigen, sagte der Ministerpräsident weiter. „Das können wir nicht zulassen.“

Demgegenüber hat die Weltbank gestern angesichts der Krise zu einer Freigabe der Preise für Getreide aufgerufen. „Um wieder Brot in den Regalen zu haben, ist eine Liberalisierung der Getreidepreise notwendig“, sagte Kenneth Lay, Abteilungsdirektor der Weltbank für Südosteuropa, zum Abschluß eines Besuchs vor der Presse in Sofia. „Je schneller das geschieht, desto besser“, meinte Lay. Auch die Preise für andere Waren sollten freigegeben werden, um Engpässe zu vermeiden. Außer an Brotknappheit leidet das Land an einer Benzinkrise. Die meisten Tankstellen sind geschlossen, der öffentliche Nahverkehr wurde reduziert oder eingestellt. Um die mit einer Preisfreigabe verbundenen Belastungen für breite Schichten der Bevölkerung zu verringern, will die Weltbank ein Paket sozialer Maßnahmen vorbereiten.

Dazu sollen auch 20 Millionen Ecu (rund 40 Millionen Mark) von der Europäischen Union beitragen, sagte Lay. Vertreter der EU, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank wollen heute die EU-Hilfen für Bulgarien erörtern.

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