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Eine Versammlung alter Herzspezialisten

■ Die Gruppe von Lissabon sucht nach Wegen, die Globalisierung zu bändigen

Es ist beruhigend zu wissen, daß es noch moralisch verantwortliche Menschen gibt. In Zeiten von Globalisierung, Deregulierung, weltweiter Massenarbeitslosigkeit und dem Primat des Marktes, ist es um so erfreulicher, wenn sie sich ab und zu melden und ihre Bedenken darüber kundtun. Über die „Grenzen des Wettbewerbs“ hat sich jetzt auf deutsch die „Gruppe von Lissabon“ geäußert.

1992 hatten sich in Lissabon Wissenschaftler, Politiker und Industrielle um Riccardo Petrella, den früheren obersten Technologiewächter der Europäischen Kommission, geschart. Die Runde aus den USA, Japan und Westeuropa sorgte sich angesichts der 500-Jahr-Feiern zur Entdeckung der „Neuen Welt“ über die Folgen der Globalisierung im ausgehenden 20. Jahrhundert. Vor allem beunruhigte sie der ungezügelte Wettbewerb unter Staaten und multinationalen Konzernen.

So setzten sie sich hin und verfaßten ein Manifest über „die Globalisierung der Wirtschaft und die Zukunft der Menschheit“ (1995 bereits auf englisch erschienen). Darin stellen die 22 Mitglieder der „wirtschaftlichen und sozialen Elite“ der einflußreichsten Länder der Welt viele richtige und wichtige Fragen. „Warum wird die Vollbeschäftigung nicht mehr als ein realistisches Ziel betrachtet?“ Sollte sie gar ein „vorübergehendes Nachkriegsphänomen“ gewesen sein? Auch wollen sie wissen, ob Menschen in den von ihnen vertretenen Ländern bereit sind, ihre Arbeitszeit mit Menschen in Rumänien, China oder Senegal zu teilen. Die Antworten bleiben bedauerlicherweise aus.

Die Gruppe von Lissabon stellt fest, daß sich multinationale Unternehmen wie IBM, Siemens oder Sony zu den „wichtigsten Organisationen“ der Erde entwickelt haben. Als willfährige Helfer haben ihnen Staatschefs durch internationale Verträge wie dem GATT einen freien Marktzugang fast auf der ganzen Welt verschafft. Dieselben Politiker aber weichen zu Hause und im gleichen Atemzug Sozial- und Umweltgesetze auf (Deregulierung!), damit die nationalen Wirtschaftsunternehmen wettbewerbsfähig bleiben. Wettbewerbsfähig mit Unternehmen in anderen Ländern. Denn – wie die Gruppe von Lissabon richtig feststellt – es geht Politik und Wirtschaft um den Sieg im weltweiten Wettbewerb, um damit die heimische Volkswirtschaft vermeintlich zu stärken. Siemens muß weltweit der größte, schnellste, tollste sein, nicht nur in Deutschland.

Die elitären Mitglieder der Gruppe von Lissabon haben ihr Manifest wie eine Fernsehserie aufgezogen und erzählen nach dem Motto „was bisher geschah“. Die Fakten in Text und Anhang sind bekannt. So enttäuschen die Wissenschaftler und Politiker der Gruppe von Lissabon mit ihren Schlußfolgerungen. Sie stellen den Wettbewerb nicht in Frage. Denn: „Es läßt sich nicht leugnen, daß wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit viel für sich hat.“ Sie haben vielmehr gemerkt, daß ihnen als Führungsschichten das Weltgeschehen entglitten ist. Vergeblich sucht man in dem „Manifest“ nach Rufen, daß sich Menschen in den reichen Ländern einschränken müssen, damit die Menschheit eine Zukunft hat. Die Gruppenmitglieder kommen ja gerade aus diesen Ländern. So suchen sie lediglich nach Möglichkeiten, den Lebensstandard in den von den Folgen des weltweiten Wettbewerbs geplagten Nationen zu halten.

Am erstaunlichsten jedoch sind die Lösungen für Massenarbeitslosigkeit, Armut und Umweltzerstörung. Die „globale Zivilgesellschaft“ der westeuropäischen und nordamerikanischen Staaten, sowie Japan und den Tigerländern sollen vier Verträge schließen. In den Verträgen über Grundbedürfnisse, Kultur, Demokratie und über die Erde sollen die Menschen, ihre Verantwortung für eine gesicherte Existenz festschreiben. Das Ziel müsse sein, „ein neues Bewußtsein der Zusammengehörigkeit jenseits des Wettkampfs“ herzustellen. In supranationalen Organisationen wie der UNO oder der Weltbank würden sich dann jährlich Vertreter der auserwählten Nationen in einer Bürgerversammlung treffen und über die Einhaltung der Verträge wachen. Daneben müßten nach Meinung der Gruppe von Lissabon diverse Untergruppen tagen, debattieren und Studien erstellen. Wie eine Europäische Union in ganz groß eben. Als leuchtendes Beispiel für die Schlagkraft internationaler Organisationen steht für die Gruppe von Lissabon die Internationale Vereinigung der Kardiologen. Die treffe sich mit 4.000 Mitgliedern auch nur alle vier Jahre und arbeite doch recht effektiv. Ulrike Fokken

Die Gruppe von Lissabon: „Grenzen des Wettbewerbs. Die Globalisierung der Wirtschaft und die Zukunft der Menschheit“. Vorwort von Ernst Ulrich von Weizsäcker, Luchterhand, München 1997, 224 S., 36 DM

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