: Festival der Historiker
■ Im Musikjahrbuch hebt nur der Intendant die Hand zum frechen Gruß
Ein blauer Violinschlüssel ziert den grünen Umschlag, die zur Silhouette stilisierte Fassade des Theaters am Goetheplatz und eine E-Gitarre schimmern matt: Also steht es da im Buchhandel oder am Kassenschalter des Theaters – das neue „Bremer Jahrbuch für Musickultur“. Es ist sozusagen auf Selbstkostenbasis in der edition temmen erchienen. Und auf Ehrenamtsbasis wurden auch die rund 200 Seiten zwischen den Deckeln der Bandes bedruckt, der nach Angaben des Herausgebers Frank Nolte die Lebendigkeit und den Reichtum des Bremer Musiklebens veranschaulichen solle.
Nach den Schwerpunkten Rockmusik im vorvergangenen und – zum Verbandsjubiläum – Richard Wagner im vergangenen Jahr widmet sich der dritte und neue Band dem Musiktheater. Herausragende Inszenierungen habe es da in den letzten Jahren gegeben und deutlich seien Bemühungen zum Aufbau eines Repertoires zu erkennen, schwärmte Nolte am Montag abend bei der Vorstellung des Buches. Folgerichtig ist es in Zusammenarbeit mit dem Bremer Theater entstanden.
Tatsächlich ist zum Thema Musiktheater oder, wie es im Untertitel heißt, „Musik im Theater“ auch dann einiges zu sagen, wenn man den Schwerpunkt auf Bremen focussiert. Dazu zählt, daß es in den Theaterjahren vor der Verpflichtung des Intendanten Klaus Pierwoß vor allem den KollegInnen im Schauspiel gelungen war, den Karren in den Sand zu setzen. Die Sparte Musiktheater konnte dem dahinschmelzenden Repertoire, nicht oder wechselnd besetzter Stellen zum Trotz, jedoch ein relativ hohes Niveau aufrecht erhalten. Auch könnte man erstens allgemein und zweitens mit einem Bremen-Bezug sagen oder zumindest fragen, warum neue und gar Jahrhundertwendemusik kaum bis gar nicht ankommt, das Repertoire der Romantik und Klassik aber vor meist gut besuchten Häusern rauf und runter gepflegt wird. Woran sich gleich der Konflikt anschließt, der bei jeder sich künstlerisch gebenden und Publikumserwartungen brüskierenden Inszenierung aufs neue entbrennt und die Frage aufdrängt: Wozu ist subventioniertes Theater eigentlich da?
So – neugierig – fangen wir also zu blättern an und finden schon eine kleine, verstehbare Provokation. Die Dramaturgie des Mitherausgebers wollte es so, daß ausgerechnet ein Bild aus der umstrittenen 96er-Eröffnungsinszenierung von Schönbergs „Moses und Aron“ den optischen Auftakt schlägt. Gleich daneben demonstriert Intendant Klaus Pierwoß, daß er nicht vergeßlich ist. In Kurzform rollt er den Theaterstreit noch einmal auf und überlegt dann: „Gerade in Zeiten geringer werdender Finanzmittel darf nicht die Tendenz obsiegen, programmatische Ansprüche aufzugeben, um nur noch mit Wohlgefälligem die Häuser zu füllen.“
Der feurige Engel aus dem Intendantenzimmer grüßt also frech in der Einleitung, doch dann folgt ein sieben Jahre alter Rückblick des inzwischen pensionierten Ex-Weser-Kurier-Feuilleton-Chefs Simon Neubauer. Dessen Wiederabdruck wäre wegen seines Guiness-Buch-verdächtigen Titels „30 Jahre Bremer Musiktheater“ noch zu rechtfertigen, doch... – erstmal der Reihe nach.
Gestützt auf wissenssoziologische Standardwerke nähert sich der an einem Drogenforschungsinstitut (!) tätige und dem Vorstand des Bremer Rockmusikerverbandes angehörende Nolte immerhin einem möglichen Thema: Der Dialektik vom Schauspiel in der Oper. Die schimmert aus jedem Geschimpfe über vermeintlich schlechte Inszenierungen durch und kulminiert auch in der geschriebenen Kritik allzuoft im Schlußsatz: „aber die Leistungen von Sängern, Chor und Orchester waren ganz hervorragend.“ Nolte hofft auf einen ästhetischen Sinneswandel zugunsten des Schauspiels in der Oper, woran sich ein roter Faden hätte knüpfen lassen. Doch außer einer Orientierung am derzeitigen Repertoire sind die meisten folgenden Beiträge der Jetzt-Zeit nicht verhaftet.
Kaum ist von Musiktheater die Rede, dämmern Kunst- und Musikgeschichte. Also tauchen die Beiträge tief ein in Mozarts Schicksal – das Werk „verdankt seine Entstehung einer Verkettung glücklicher Umstände“. Oder sie beschreiben Verdis Werkzweiteilung – „schnell abgeschlossen“ oder „bewältigen viele reizvolle Aufgaben zumindest nicht im ersten Anlauf“. Oder sie befassen sich mit Massenets Art zu recherchieren – er „greift in der Oper ,Werther' auf eine wahre Begebenheit zurück, die Goethe in seinem berühmten Roman...“. Da feiern Programmheftschreiber, Hochglanzillustrierten-Anzeigenumfeldfüller und Knaurs-Opern-Lexikon-Ergänzungsbandschreiber ein Festival, und gegen eine solche Party wäre nichts einzuwenden, hätte man sie anders angekündigt.
Abgesehen vom Aufsatz des Komponisten Erwin Koch-Raphael über poltische und ästhetische Dimensionen von Musiktheater und wenigen anderen Beiträgen, plakatiert der Band zwischen den Zeilen die Entkoppelung von gegenwärtigem Kunstschaffen und der Pflege des Vergangenen. Dem Respekt vor dem Engagement der VerfasserInnen zum Trotz: Das Musiktheater in Bremen hätte Besseres verdient. Christoph Köster
„Bremer Jahrbuch für Musickultur“, edition temmen, Bremen: 1997, 20 Mark
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