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Wenn der Krieg das Lebensthema ist

Ein langer Abend in Bayerns bewegter Hauptstadt: Wie die CSU gemeinsam mit ehemaligen Soldaten und neuen Ewiggestrigen von der Jungen Union gegen die Wehrmachtsausstellung mobil macht  ■ Aus München Felix Berth

Montag abend, Marienplatz. Etwa zweihundert ältere Männer stehen in Grüppchen herum, um gegen die Wehrmachtsausstellung zu protestieren. Ein paar Autonome, die sich bei den Jusos organisiert haben, skandieren die rituellen Verse („Nazis verpißt euch, keiner vermißt euch“) und versuchen, ordentliche Fronten zu schaffen – hier unsere linke Menschenkette, dort ihr alten Nazis.

Doch irgendwie gelingt die Formierung nicht. Mag sein, daß die älteren Herren die ungeschriebenen Demonstrationsgesetze nicht kennen, mag sein, daß sie Rangeleien vor den vielen Fernsehkameras vermeiden wollen – jedenfalls bleibt es den ganzen Abend möglich, über den Platz zu schlendern und sich zu unterhalten. Selbst als die Polizei elf Juso-Autonome festnimmt und bei weiteren zwölf die Personalien aufnimmt, bleibt die Randale aus.

Was man in diesen Stunden von den alten Herren hört, klingt in manchen Fällen nach persönlicher Empörung, oft nach nationalem Wahn und bei manchen auch erleichtert, daß „ihr“ Thema endlich wichtig ist: ihre Erlebnisse, ihre Jugend, ihr Krieg. Ein Mann erzählt von seiner „schönsten Zeit als Jugendlicher“ – als er sich nämlich mit 16 freiwillig „zur Truppe“ gemeldet hatte. Sein Nachbar wettert gegen die Partisanen („Die haben noch Glück gehabt, wenn sie erschossen worden sind. Normalerweise gehören sie aufgehängt.“), und ein paar Meter weiter stellt sich ein anderer Rußlandkämpfer seinem Gegenüber vor: „Achtzehnte PD. Wo waren Sie?“. Antwort: „Fünfte PD.“

Schnell landen die beiden bei den Nazi-Legenden, daß der Krieg kein Angriffskrieg war. „Hätte Hitler nicht losgeschlagen, wäre heute ganz Europa von den Bolschewisten besetzt.“ Und während ein paar schneidige Burschenschaftler eintreffen, ergänzt ein dritter: „Die Schweinereien der anderen Seite werden schließlich auch nicht erwähnt.“ Ihre Anspannung zeigt, „der Krieg“ ist immer noch das Thema ihres Lebens.

Drei Stunden später, bei der vom Oberbürgermeister Christian Ude eröffneten Ausstellung, wird Jan Philipp Reemtsma versuchen zu ergründen, warum der Protest der Ewiggestrigen mittlerweile so laut und so sichtbar geworden ist: Er spricht von einem „Vertrag des Schweigens“ (siehe Dokumentation). Dieser Vertrag des Schweigens, so ahnen wir, ist mittlerweile gekündigt – nicht zuletzt durch die Ausstellung in den Räumen der Universität und mit all den in München zu beobachtenden Folgen.

Zwei Stunden später. Die Junge Union absolviert ihre Kranzniederlegung am Grab des unbekannten Soldaten. „Den gefallenen Deutschen Soldaten“ steht auf der Banderole des Blumengestecks. Kein Wort von den anderen Opfern des Krieges. Einige stellen sich mit weißen Rosen um den stilisierten Sarg – und haben keine Ahnung, mit welchem Symbol des deutschen Widerstands sie da spielen. Oder es ist schon wieder ein Versuch, ein Tabu zu brechen. Ansonsten Stille. Nur ein Siebzigjähriger murmelt: „Die Schweiz hat doch auch KZ-Baracken an uns geliefert. Die Schweiz!“

Anschließend die zweite Protestveranstaltung der CSU, eine „öffentliche Fraktionssitzung“ im Rathaus. 200 geladene Gäste warten auf Peter Gauweiler. Eine merkwürdige Generationenmischung. Viele Zwanzigjährige und viele weit über sechzig – dazwischen ist fast niemand. Einer der Jüngeren freut sich über meine Frage, warum er hergekommen ist: „Unsere Großväter haben für unsere Freiheit gekämpft, sonst wäre der Bolschewismus hier.“ In der Jungen Union sei er schon eine Weile nicht mehr, weil er Politik nicht für Freibiergutscheine machen wolle: „Es gibt schon noch was anderes“, sagt er.

Fünf Meter entfernt erzählt mir ein etwa Siebzigjähriger, wie er neulich auf ein Auschwitz-Foto reagierte, daß bei einer Veranstaltung der Katholischen Akademie gezeigt wurde: „Ich habe denen ein Bild von den Leichenbergen in Dresden nach dem Luftangriff gezeigt. Das sah genauso aus.“ Heute auf Rente, sagt er, „brauch' ich diese historischen Wahrheiten nicht mehr zurückhalten.“

Dritter Versuch. Diesmal eine Gruppe von jungen Männern. JU Regensburg, sagen sie stolz. Ob sie ebenfalls glauben, ohne Hitler wären wir heute in der Hand des Bolschewismus? Einer, der später alle historischen Einlassungen Gauweilers begeistert applaudieren wird, übt sich in Diplomatie. „Das ist eine Frage, die Historiker und Wissenschaftler klären müssen. Ich will das nicht beurteilen.“

Gauweiler kommt. Nach seinem ersten Begrüßungssatz beginnt das Gebrüll von etwa zehn Leuten: „Gegen das schwarz- braune Bündnis“, skandieren sie, halten ein paar kleine Plakate in Richtung Fernsehkameras. JU- Mitglieder drängen sie zurück, ein paar Biergläser werden über die linken Demonstranten ausgekippt, „raus“ brüllen selbst alte Herren der CSU. Minuten später sind die Plakate zerrissen, die Demonstranten zur Eingangstür gedrängt – und die Polizei nimmt sechs von ihnen fest. Später meldet die Nachrichtenagentur AP, daß es genau umgekehrt war. Das Bier hätten die Protestler über die Gäste geschüttet.

Gauweiler meidet in seiner Rede die polemischen Ausfälle, mit denen er in den letzten Tagen auffiel. Doch natürlich spricht er nicht über die Verbrechen der Wehrmacht, sondern viel lieber über die Ausstellungsmacher, die den „antitotalitären Konsens“ gebrochen hätten. Einmal kann er sich rechtslastige Andeutung doch nicht verkneifen. Man werde sich nicht „am furchtlosen Nachdenken über die Vergangenheit hindern lassen“. Was das heißen soll, erfährt man sicher bald in einem Bierzelt.

Fast erleichtert hört man danach dem CSU-Fraktionschef Hans Podiuk zu. Er kritisiert die Ausstellung hart, findet aber immerhin ein klares Wort über die Wehrmachtsverbrechen. „Es hat riesige, grauenhafte Verbrechen in der Wehrmacht gegeben. Der deutsche Name ist mit diesen Verbrechen auf ewig verbunden.“ Nach dieser Passage folgt kein Applaus.

Um 21 Uhr sind die beiden Reden vorüber, und dem Beobachter bleiben zwei Fragen: Wie viele der 32 CSU-Stadträte haben das Spektakel gemieden? Fünf mindestens, schätzt man in der CSU-Fraktion – was andeutet, daß mehr als die zwei bekannten Stadträte Franz Forchheimer und Sven Thannheiser die Gauweiler-Linie verlassen haben. Und war der Neonazi, der uns seine Sprüche über Hitlers Verteidigungskrieg servierte, echt oder ein verkappter Autonomer? Mag sein, daß er nur rechte Sprüche losließ – doch der Alt-Nazi mit der Abneigung gegen Auschwitz- Fotos war echt. Und die Phrasen der JU-Jungs aus Regensburg auch.

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