: Eine Keimzelle „schlagkräftiger“ Strukturen
■ Die Neonazi-Gruppe „Weißer Arischer Widerstand“ ist Teil des Untergrund- Netzwerks „Werwolf“ und steht dem US-amerikanischen Ku-Klux-Klan nahe
Der Kreis von Berliner Neonazis, die zu Anschlägen wie dem auf den linken Buchhändler im Bezirk Marzahn bereit und technisch in der Lage sind, läßt sich auf 50 bis 100 polizeibekannte Personen eingrenzen. 13 Mitglieder des harten Kerns wurden im August 1994 in der Wohnung des Naziführers und Waffenfetischisten Arnulf Priem festgenommen – unter ihnen auch der 24jährige Kai Diesner, der am vergangenen Wochenende nach einer Schießerei mit der Polizei in Schleswig-Holstein verhaftet wurde und seit gestern auch im Verdacht steht, der Täter von Marzahn zu sein.
Er zählt wie die übrigen Festgenommenen zu einem Kreis von Neonazis, die nach dem Verbot ihrer jeweiligen Parteien und Organisationen verschärft den Aufbau eines Untergrundnetzwerkes unter der Bezeichnung „Werwolf“ betreiben. Fast alle sind vor oder nach den Festnahmen von 1994 wegen Waffen- oder Gewaltdelikten mit der Polizei in Berührung gekommen.
So wurden bei Oliver Werner im Oktober 1994 halbfertige Sprengsätze beschlagnahmt; das gab das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz in seinem kürzlich vorgestellten Bericht über Rechtsextremismus in Berlin bekannt.
Gleichwohl kommt die Behörde aus dem Verantwortungsbereich des Innensenators zu der Einschätzung: „Für rechtsextremistischen Terrorismus in Berlin gibt es gegenwärtig keinen Nachweis.“ Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) konnte am Montag, eine Woche nach dem Anschlag von Marzahn, nichts zu bisherigen Aktivitäten der Gruppe „Weißer Arischer Widerstand“ (WAW) sagen, zu der sich auch Kai Diesner bekennt.
Dabei hat sich der WAW nach Informationen des prominenten Aussteigers aus der Neonazi- Szene Ingo Hasselbach 1992 aus dem „harten Kern der Berliner Szene“ um ein besetztes Haus in der Lichtenberger Weitlingstraße gebildet. Dort wurde auch der junge Diesner politisch – und vermutlich auch paramilitärisch – geschult. Das antifaschistische INFO-Blatt bezeichnet den WAW als „Keimzelle des Werwolfes in Berlin“. Für die Ausbildung an der Waffe und den Umgang mit Sprengstoff war unter anderem Hans Jörg Schimanek jr. zuständig, ein österreichischer Neonazi, der in Zusammenhang mit den dortigen Briefbombenanschlägen gebracht wird.
Am 20. Februar 1996, genau ein Jahr vor dem Mordanschlag von Marzahn, hatte die Presse über eine Polizeiaktion berichtet, in deren Verlauf eine Wehrsportgruppe ausgehoben wurde. Sie nannte sich „Weißer Arischer Widerstand/ Heimatschutzkorps“. Die Rädelsführer waren einige Jahre jünger als Kai Diesner und sein Umfeld, doch soll die Gruppe in Kontakt zu Detlev Cholewa stehen, der heute Nolde heißt und die „Kameradschaft Treptow“ leitet. Auch Nolde, ein überzeugter Nazi und Befürworter dezentraler und „schlagkräftiger“ Strukturen nach dem Muster des „Werwolf“-Netzes, wurde 1994 gemeinsam mit Diesner in der Wohnung Arnulf Priems festgenommen.
Die Gruppe WAW, die sich zur Vorherrschaft der „weißen Rasse“ bekennt und dem Ku-Klux-Klan in den USA nahesteht, orientiert sich mit ihrem Namen an einer schwedischen Nazi-Terrorgruppe aus dem Skinhead-Milieu, zu der mit großer Wahrscheinlichkeit auch Kontakte bestehen. Der schwedische „Weiße Arische Widerstand“ steht im Zusammenhang rechtsextremer Skinhead-Strukturen, die auch in anderen Ländern Skandinaviens agieren. Martin Süß
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