: Lustige Rechenbücher
■ Eine Vortragsreihe über die Wurzeln digitaler Literatur
Am 27.11.1960 gründeten der Autor Raymond Queneau und der Mathematiker Francois Le Lionnais in einem Pariser Restaurant die Werkstatt für potentielle Literatur „Ouvroir de Littérature Potentielle“, abgekürzt „Oulipo“. Der illustre Zirkel zählte bald so herausragende Autoren wie Italo Calvino, Harry Mathews und Georges Perec zu seinen Mitgliedern. Ihr Anliegen war es, die Wirkungsweise der sprachlichen Regeln zu erkunden und dafür brachen die Oulipisten sie – und erfanden neue dazu. Das berühmteste Experiment vollbrachte dabei Georges Perec mit seinem Roman La disparition – einem Buch, in dem kein einziges Mal der Buchstabe „E“ vorkommt!
Schon früh wandten sich die Oulipisten auf ihrer Suche nach potentieller Literatur auch dem Computer zu. So war es Raymond Queneau, der mit A Story As You Like It den ersten Hypertext nicht zu Papier, sondern auf den Bildschirm brachte. Der potentielle Leser hat nach jeder Textstelle die Wahl zwischen zwei Abzweigungen, die ihn zu jeweils unterschiedlichen Fortsetzungen der Geschichte brachten – ein Prinzip, das heute jedem Internet-Surfer vertraut ist. Genau um diese Verbindungen zwischen historischem literarischem Experiment und gegenwärtiger technischer Verwirklichung soll es heute abend in einer Reihe von thematisch lose verknüpften Vorträgen über Oulipo, Literatur und Computer gehen.
Neben einem Vortrag über die mathematischen Strukturen, die Georges Perecs Meisterwerk Das Leben Gebrauchsanweisung zugrunde liegen, steht eine Einführung in das deutsche „Gutenberg-Projekt“, das zum Ziel hat, möglichst viele deutschsprachige literarische Texte im Internet zugänglich zu machen. Uwe Wilms vom Christianeum spricht über digitale Kommunikationserfahrungen mit russischen Partnern und Rolf Eigenwald stellt mit dem Lyriker Oskar Pastior den einzigen deutschen Oulipisten vor. Den Abschluß des Abends bildet ein Vortrag des Fachjournalisten Günter Dunz-Wolff über die neuesten technologischen Entwicklungen im Internet, an den sich eine Diskussion anschließen soll. Volker Hummel
Oulipo, Literatur und Computer: Heute, 20.00 Uhr, Christianeum, Otto-Ernst-Straße 34
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