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Mieter raussetzen am Vorsetzen

Neustadt: Germanischer Lloyd will Wohnungen zu Büros machen  ■ Von Heike Haarhoff

„Vor dem Krieg“, sagt Michel-Pastor Rüß, „lebten hier im Stadtteil 60.000 Menschen.“ Heute sind's in der Südlichen Neustadt noch 3.500. Das Wohngebiet in hafennaher Sahnelage zwischen Michel, Landungsbrücken und Baumwall hat sich in ein schickes Büroviertel verwandelt. Wohnen ist mittlerweile erstens rar und zweitens kaum mehr bezahlbar. Verlage wie Gruner + Jahr residieren hier und auch das Hamburger Gutachter-Unternehmen Germanischer Lloyd (GL). Und der, klagt Angela Jakob, Mieterin einer der wenigen verbliebenen Altbauwohnungen in der Straße Vorsetzen 42, „will jetzt unsere Häuser abreißen“.

Die insgesamt 50 Wohnungen in den Gebäuden Vorsetzen 41 und 42 sowie Wolfgangsweg 9 und 11 will GL durch Büro-Neubauten ersetzen. Den MieterInnen wurde bereits vor einem halben Jahr angeboten, in das benachbarte und leerstehende ehemalige Seefahreraltenheim umzuziehen; Sozialwohnungen sind dort im Gespräch. „Aber“, klagt Mieter Matthias Wisbar, „viele können sich selbst diese Mieten zwischen 12 und 15 Mark nicht leisten“. Derzeit bezahlen sie acht Mark pro Quadratmeter.

Bisher kümmerten sie sich nicht weiter um die Rausschmiß-Drohgebärden des GL, zumal dem Bezirksamt Mitte nicht einmal offizielle Abriß- und Neubauanträge vorliegen. „Umso härter war der Schlag“, sagt Eve Raatschen vom Verein Mieter helfen Mietern, „als das Amtsgericht Anfang Februar der Räumungsklage stattgab“. Danach müssen die Mieter mit befristeten Verträgen zum 30. April, die anderen zum 30. September 1997 ausziehen. Das Gericht war der Begründung des Unternehmens gefolgt, wonach ja Ersatzwohnraum angeboten werde.

Ob, mit welchen Mitteln und zu welchen Preisen die Wohnungen im Seefahreraltenheim aber überhaupt fertig werden, steht in den Sternen. „Dieses Vorhaben“, sagt GALierin Stefanie Neveling, „wurde in den bezirklichen Ausschüssen noch gar nicht diskutiert“. Die MieterInnen wollen sich jetzt in zweiter Instanz gegen das Gerichtsurteil wehren. Mehr als die Hälfte von ihnen ist allerdings bereits „freiwillig“ ausgezogen. Die Vertreibungstaktik des Germanischen Lloyd funktioniert, und das, obwohl die Stadt erst vor zwei Jahren eine „soziale Erhaltungsverordnung“ für die Südliche Neustadt erlassen hat.

Mit der soll der Stadtteil vor Yuppisierung und weiterer Altbau-Vernichtung geschützt werden. Abriß, Neubau, Umwandlung, Kaufpreise und Miethöhen bedürfen städtischer Zustimmung. Solange aber kein Abrißantrag des Eigentümers vorliegt, könne der Bezirk auch nicht schützend eingreifen, bedauert die Sanierungsabteilung. Bislang teilte der GL dem Bezirk lediglich mit, ein Erhalt „der maroden Bausubstanz“ sei „unter keinen Umständen zumutbar“.

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