Spart am Kohl, nicht am jungen Gemüse

■ Über 13.000 Schülerinnen und Schüler protestierten gestern mit einem Sternmarsch gegen den Kahlschlag im Bildungswesen: „Wir sind die Zukunft!“ Kritik auch am Abbau des Sozialstaates

Mehr als 13.000 Schülerinnen und Schüler sind gestern lautstark „gegen Bildungsabbau und für Alternativen in der Bildungspolitik“ auf die Straße gegangen. Sie folgten einem Aufruf der Landes- Schülervertretung (LSV), mit einem Sternmarsch zum Brandenburger Tor ein „deutliches Zeichen gegen die rigide und unsoziale Kürzungspolitik“ des Senats zu setzen. „Wir wollen Geld!“, hieß es immer wieder in Sprechchören, unterstützt durch zahllose Trillerpfeifen, denn: „Wir sind die Zukunft!“

„Spart am alten Kohl, nicht am jungen Gemüse!“, hieß es auf einem der Transparente. Bildungspolitische Entscheidungen dürften nicht nach finanziellen Kritierien getroffen werden“, erklärte die LSV in ihrem Aufruf, das Ziel müsse ein „bestmögliches Bildungsangebot für alle – egal welcher sozialen Herkunft – sein“.

Die jungen Demonstranten ließen sich ihre Protestlaune weder vom Regenwetter noch vom drohenden Unheil unentschuldigter Fehlstunden verderben. Von acht Treffpunkten aus führte der Sternmarsch von Osten zum Roten Rathaus und von Westen zum Großen Stern. Auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor schließlich stießen die beiden Demonstrationszüge zur einer gemeinsamen Kundgebung zusammen. Die Veranstalter schätzten die Zahl der Teilnehmer hier auf mehr als 20.000. „Wir wollen nicht betteln müssen, um unsere Ziele zu erreichen“, hieß es abschließend, „denn es sind unsere Rechte.“

Die Schülerinnen und Schüler fordern vor allem niedrigere Klassen- und Kursstärken, die Gewährleistung von Lehr- und Lernmittelfreiheit sowie die Einstellung junger Lehrerinnen und Lehrer. Das Durchschnittsalter der Berliner Lehrkräfte liegt derzeit bei etwa 46 Jahren. Für 1997 sind keine Neueinstellungen zu erwarten – im Gegenteil: Auslaufende Verträge befristet eingestellter Pädagogen werden meist nicht verlängert.

Angriff ist die beste Verteidigung: Die Berliner Schülerschaft fordert außerdem Unterricht in „Deutsch als Fremdsprache“ für ausländische MitschülerInnen und verstärkte Integrationsmaßnahmen für Lern- und Körperbehinderte. Die Zukunftsprognosen der RednerInnen auf der Abschlußkundgebung fielen jedoch düster aus: Angesichts immer größerer Klassen seien schon jetzt kaum noch andere Unterrichtsformen als Frontalunterricht möglich.

Nach der Schulzeit würden für viele der Anwesenden keine Ausbildungs- oder Studienplätze zur Verfügung stehen. Der Numerus clausus an den Universitäten werde zur Regel werden, erklärte ein Vertreter der GEW-Gewerkschaftsjugend. Und weiter: „Es kann nicht angehen, daß Ausbildungsplätze in der Industrie durch Steuern finanziert werden, die hinterher in den Schulen und an den Unis fehlen. Wer nicht ausbildet, soll zahlen!“ Doch den Schülern geht es nicht nur um den Abbau im Bildungsbereich. Sie kritisierten gestern auch, die „überproportionalen“ Kürzungen im Sozialbereich. Holger Wicht