Kurt Scheels Lichtspiele: Einsamer nie!
■ Alleine oder mit Freunden ins Kino gehen? Eine Aporie
Erfolgreich ins Kino gehen ist bekanntlich nicht einfach. Denn einen guten Film auszugucken mit Hilfe Mr. Halliwells oder des Scheelschen Kritikkalküls, also einen, der dich nicht mauliger das Kino verlassen läßt, als du es betreten hast, ist ja nur die notwendige, nicht die hinreichende Bedingung. So bist du zum Beispiel nicht im Stand der Gnade, wenn du alleine ins Kino gehst: ein Gezeichneter unter all diesen Pärchen und fidelen Jungmännerrädeln – wenn doch wenigstens das verdammte Licht endlich ausginge, auf daß die Dunkelheit des Kinos dich verschluckte und das Geflüster und Geturtel der anderen, der Glücklichen, aufhörte!
Schlimmer noch als diese quälenden Minuten vor Beginn der Vorstellung ist es, wenn sie zu Ende ist. Du blickst sehr cool und souverän, damit niemand auf den Gedanken kommt, dir fehle etwas, und wenn dann die anderen in die umliegenden Lokale strömen, um sich sinnlos mit Alkohol zu betäuben und ihre flachen, kenntnisarmen Kommentare abzugeben („Ich finde, daß Emil Costarica ohne die blindsprachliche, äh: bildsprachliche Grammatik Godards gar nicht zu denken ist“), dann gehst du selber gemessenen Schrittes und ernsten Antlitzes in deine häusliche Hölle: einsamer nie!
Jetzt sagen Sie zu Recht: Dann geh doch nicht alleine ins Kino, sondern mit Freunden, anstatt uns hier die Hucke vollzujammern. Vielen Dank für den guten Rat! Aber was ist, wenn gute Freunde diesen Film, den du ausgesucht hast, nicht mögen? Wenn sie geräusch- und vorwurfsvoll ihre Hintern alle paar Minuten hin- und herschieben – sie wollten ja den neuen Film von Jane Campion sehen (schon „Das Piano“ war der reine Politkitsch gewesen) – und dir, sensibel, wie du bist, ein schlechtes Gewissen zu machen versuchen?
Dabei ist „Jane Austens Verführung“ trotz des blöden Titels wirklich bemerkenswert; eine kleine, billige Produktion, ursprünglich wohl nur fürs BBC- Fernsehen gedacht, die gleichwohl oder gerade deshalb die genaueste, einfühlsamste, der Literatur Jane Austens gemäßeste Verfilmung geworden ist; als sähe man auf der Leinwand, was sonst nur im Buch zu finden ist, in den Worten dieser wunderbaren Autorin: „Ein winziges Stück – zwei Zoll – Elfenbein, auf dem ich mit so feinem Pinsel male, daß nach zäher Arbeit wenig Wirkung sichtbar wird“.
Das schöne, fortschrittliche Grundmotiv des Austenschen Werkes, es komme auf Charakter an, auf Intelligenz und Bildung, nicht auf Äußerlichkeiten, auf Herkunft und Aussehen, wird in diesem Film ganz ernst genommen: Die Heldin ist tatsächlich, wie das Kino fast niemals sich traut, nicht hübsch; wenn wir sie am Schluß dennoch lieben und so froh sind, daß sie ihr Glück gefunden hat, dann deshalb, weil sie eine schöne Seele ist (insofern war Emma Thompson in „Sinn und Sinnlichkeit“ eine falsche, weil zu attraktive Besetzung). Und das ist nicht nur im Sinne der Autorin und ihrer Romane, sondern auch in unserem; denn nur wenn es auf Intelligenz und Charakter, auf wahre Herzensbildung ankommt, nicht auf eine hübsche Larve, bleibt uns eine kleine Hoffnung...
Die „guten Freunde“ aber, kaum sind wir draußen, fangen schon zu nörgeln an: die Heldin sei häßlich gewesen, der Film billig und auch langweilig – natürlich hätte ich nun sarkastisch fragen können, ob sie schon mal was von Austen gelesen hätten, ob ihnen da nicht aufgefallen sei, daß es kaum Verfolgungsjagden, Schießereien und sonstige Äktschen gebe, daß es in Austens Welt eher unspektakulär, ein bißchen langweilig zugehe, ja, daß der Austen-Lektüre ein gewisses würdevolles Moment von Langeweile eigne?
Ich habe das nicht gefragt, Sie kennen mich: Ich bin höflich und zurückhaltend, dem Humanum verpflichtet, Rechthaberei ist mir ein Greuel – aber die an sich ja begrüßenswerte political correctness darf doch nicht so weit gehen, daß die Wahrheit geleugnet wird? Und wahr ist, nebenbei, daß Ihr „guter Rat“, mit Freunden ins Kino zu gehen, offensichtlich ein Schuß in den Ofen war. Ich werfe Ihnen das nicht vor, aber vielleicht sollten Sie in Zukunft etwas weniger vorlaut dazwischenreden. Das Problem mit Freunden und Bekannten liegt einfach darin, daß sie häufig ohne „sense and sensibility“ (!) nicht nur eine (angeblich) „eigene“ Meinung haben, sondern auch noch darauf bestehen, wenn man ihnen in aller Ruhe erklärt hat, warum das unangebracht ist. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich habe nichts gegen kontroverse Diskussionen auf der Grundlage einer herrschaftsfreien Kommunikation, ich bin Demokrat, und vielleicht mehr als manch anderer! Jeder soll seine eigene Meinung haben, aber doch nicht ausgerechnet, wenn wir uns über Filme unterhalten! Kurt Scheel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen