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Gebären statt entbinden

Die „Mutter aller Geburtshäuser“, das europaweit erste Geburtshaus im Berliner Stadtteil Charlottenburg, wird zehn Jahre alt. Die Bewegung für eine selbstbestimmte Geburt hat die Geburtshilfe geradezu revolutioniert  ■ Von Ute Scheub

Ein „totgeborenes Kind“ feierte vorgestern seinen zehnten Geburtstag – lebendiger und fröhlicher denn je. „Ich warne vor dem Abenteuer Geburtshaus“, hatte Günter Kindermann, damals Leiter der Uni-Frauenklinik Berlin, vor zehn Jahren potentielle Geburtshausbesucherinnen abzuschrecken versucht. Das bundesweit erste Geburtshaus, das am 25. Februar 1987 am Klausener Platz in Berlin-Charlottenburg eröffnet worden war, sei ein „totgeborenes Kind“. Eine Geburt ohne ärztliche Aufsicht, nur von Hebammen begleitet, habe tödliche Folgen, versuchte der Professor mit diesem geschmacklosen Wortspiel zu suggerieren. Zumindest sei sie „gemeingefährlich“ und die Frauen „verantwortungslos“.

Die heftige Reaktion des Klinikleiters verdeutlicht die Angst vieler klassischer Schulmediziner vor der unliebsamen Konkurrenz. Denn das Charlottenburger Geburtshaus sorgte mit dafür, daß sich die außerklinischen Geburten in Berlin schnell verdoppelten: von 1,7 Prozent im Jahre 1986 auf 3,3 Prozent im Jahre 1990. „Während der vorigen Jahrhundertwende waren Hausgeburten noch üblich. Wir arbeiten darauf hin, daß das bei der nächsten Jahrhundertwende wieder der Fall sein wird“, formuliert Geburtshaus-Mitbegründerin Heidrun Hepper selbstbewußt.

Was macht eine Geburt im Geburtshaus – wenn frau will, inklusive Schwangerenvorsorge, Geburtsvorbereitungskurs, Wochenbettbetreuung, Rückbildungsyoga, Still- und Krabbelgruppe – denn so viel attraktiver als eine „sichere“ Klinikgeburt? „Wir haben einen umfassenderen Begriff von Sicherheit“, erläutert Heidrun Hepper. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Hebamme gehört dazu, ihre kontinuierliche Anwesenheit während der gesamten Geburt, ihre einfühlsame psychische Unterstützung. Die Gebärende vollzieht die Geburt selbstbestimmt und aktiv. „Schwangerschaft und Geburt sind für uns keine Krankheiten. Bei uns werden Schwangere nicht zu Patientinnen gemacht“, erklärt die Hebamme. Auch die übliche Kategorisierung von Risikoschwangerschaften macht das Geburtshaus nicht mit: „Frauen über 35 sind für uns keine Risiken.“ Die Hebammen bestärken die Kreißenden, auf ihre eigene Kraft zu vertrauen, statt der üblichen Rückenlage ihre eigene Gebärposition, ihren eigenen Rhythmus zu finden. „Gebären statt entbunden werden“, definiert Hebamme Helga Waldmüller den Unterschied zur apparativen Klinikgeburt.

„Die Geburtshäuser sind Frühlingsboten einer neuen Medizin“, befand auf der Geburtstagsparty auch Ellis Huber, Präsident der Berliner Ärztekammer. Das Projekt habe „Pionierdienste“ dabei geleistet, eine „Moral der Würde“ zu entwickeln, die das gesamte deutsche Gesundheitswesen umkrempeln könnte. Denn: „Wir brauchen mehr weibliche Empathie und weniger männliche Ingenieurskunst.“

Schon vor zehn Jahren hatte Huber seinen ersten Auftritt als erster „alternativer“ Ärztekammerchef in Deutschland absolviert. „Damals brach ein Glaubenskrieg zwischen den klinisch orientierten Geburtshelfern und den Hebammen aus“, erinnert er sich. Inzwischen aber habe sich die außerklinische Geburtshilfe etabliert, die Kooperation zwischen Klinikern und Hebammen laufe „ohne Angst“.

Das Geburtshaus wirkte dabei gleich in zwei Richtungen: Erstens gab es europaweit den Anstoß zu vielen ähnlichen Projekten (siehe Kasten). Zweitens habe es „eine Revolution in den Kliniken selbst induziert“, befand Ellis Huber. „In Zukunft“, so glaubt er, „wird die Grenze zwischen Geburtshaus und Krankenhaus verschwinden.“

Ganz verschwunden ist der Glaubenskrieg aber immer noch nicht – was Wunder, ist er doch auch ein Interessenskrieg zwischen dem Teil der Ärzteschaft, der die lukrative Kontrolle über den weiblichen Körper behalten will, und den Hebammen, die selbstbestimmt arbeiten wollen. So wurde 1994 in einer Aufsehen erregenden Studie der bayrischen Frauenärzte D. Berg und J. Süß behauptet, die Kindersterblichkeit in der außerklinischen Geburtshilfe sei „um einen Faktor zwischen 3 und 23 gegenüber der Klinikgeburtshilfe erhöht“. Die Berliner SozialforscherInnen Johannes Korporal und Erika Neumeyer entdeckten jedoch gravierende „methodische, definitorische und inhaltliche Fehler“ in der Studie. Unter anderem seien der außerklinischen Geburtshilfe Todesfälle angelastet worden, die auch in einer Klinik unvermeidbar gewesen wären.

Tatsächlich tauchen in den letzten Statistiken des Charlottenburger Geburtshauses keinerlei Todesfälle auf. „Eine Geburt im Geburtshaus hat kein größeres Risiko wie in den Kliniken“, resümiert Hedda Kraker von Schwarzenfeld, die in einer zweijährigen Studie eine Gruppe von „risikoarmen“ Klinikgebärenden mit einer Gruppe von „risikoarmen“ Gebärenden in zwei Geburtshäusern verglichen hat. Daß bei beiden Vergleichsgruppen keine Risikoschwangerschaften vorkamen, war für die Seriosität der Studie wichtig: Die bewußt ohne Ärzte arbeitenden Geburtshäuser nehmen Frauen mit potentiellen Risikogeburten – Zwillingsgeburten, Steißlagen, Krankheiten von Mutter und Kind – erst gar nicht auf. Damit steigt natürlich die Zahl von Risikogeburten in den Kliniken, sie muß wieder herausgerechnet werden.

In vielerlei Hinsicht kommen die Geburtshäuser bei Schwarzenfelds Studie besser weg: zum Beispiel bei der Dammschnittrate. In den Geburtshäusern lag sie bei 15,8 Prozent, in den Krankenhäusern bei 54,6 Prozent. Wenn dieser hohe Prozentsatz „vorsorglicher“ Schnitte wirklich immer nötig wäre, müßten im Umkehrschluß in den Geburtshäusern mehr schwere Verletzungen vorkommen. Tun sie aber nicht.

So ist denn kein Wunder, daß sich Frauen aller Sorten und Schichten ans Geburtshaus wenden. „Darunter viele Ärztinnen“, lachen die Hebammen.

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