: PDS-Bezirksbürgermeister trotzt dem Senat
■ Jugendförderprogramm im Osten Berlins soll trotz Sparzwang gesichert werden
Berlin (taz) – Den Berliner Altparteien taugt er zum Antihelden: Uwe Klett (PDS), müsse zurücktreten, giftete es vergangene Woche aus der CDU. Der Bürgermeister des Berliner Bezirks Hellersdorf habe Gewalt provoziert, als er zu einer Demonstration gegen einen Neonaziaufmarsch in der Plattenbausiedlung aufrief. Der bleibende Verdienst des kleinen Mannes mit den herabhängenden Schultern wird ein anderer sein. Der 37jährige, der in seinem 130.000 Einwohner zählenden Bezirk Bürgermeister und Finanz- und Sozialstadtrat in Personalunion ist, kämpft für ein spezielles Förderprogramm Jugend im Nordosten Berlins. Bislang wird Jugendarbeit in den östlichen Stadtteilen Berlins über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) bestritten. Mit den heute zu Ende gehenden Haushaltsberatungen für 1997 hätten die Hauptstädter die Chance, das zu ändern.
Der Nordosten Berlins, das sind die Stadtbezirke Hohenschönhausen, Hellersdorf und Marzahn. Hier wird mit jeweils weit über 40 Prozent PDS-Wählern die Existenz der demokratischen Sozialisten im Bundestag gesichert. Drei der vier Direktmandate, mit denen die PDS die 5-Prozent-Hürde für den Bundestag nahm, kommen aus dem Nordosten. Hier ist die Kinderstube Berlins. In den tristen Wohnburgen von Hohenschönhausen, Hellersdorf und Marzahn wohnen 150.000 Jugendliche. In Hellersorf ist jeder dritte jünger als 15 Jahre. Die Hellersdorfer Jugendplanerin Sylke Sallmon ist sich mit Klett einig: „Wir brauchen hier wesentlich mehr Angebote an Jugendhilfe.“ Daran aber hapert es in dem Bezirk, der erst vor zehn Jahren als jüngster Stadtteil der einstigen Hauptstadt der DDR gegründet wurde. Ein Bericht über die „Jugendhilfe in Hellersdorf“ verrät, wo die 40.000 Jugendlichen und Kinder ihre Freizeit verbringen: mit Vorliebe an den Supermärkten und Imbißständen. Bis 1989 gab es in Hellersdorf nur sechs freie Träger, die Freizeitangebote bereithielten. Inzwischen sind es weit über 20. Aber ihre Zukunft ist auf ABM gebaut. Von den 165 Jugendhelfern, die sich in Hellersdorf mit Halbwüchsigen und -starken befassen, sind 150 in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angestellt. Im Beziksksetat stehen für Zuschüsse an Träger der Jugendhilfe gerade 290.000 Mark zu Buche. Dreifachfunktionär Klett wollte mit dem 97er Haushalt, den von Schwarz bis Grün alle Fraktionen im Bezirksparlament absegneten, anders verfahren.
Der Bürgermeister, Finanz- und Sozialstadtrat hat 20 Millionen Mark Verluste in seinen Bezirksetat geschrieben. Das Minus kommt daher, daß Klett die Jugendhilfeausgaben – anders als die Berliner CDU-SPD-Koalition, die den Etat genehmigen muß – konsequent am tatsächlichen Bedarf orientierte. So wies er statt 5 nun 6,4 Millionen Mark an Lernmitteln aus und investierte auch sonst mehr in Schulen.
Vor allem aber will Klett endlich, wie es das Kinder- und Jugendhilfegesetz vorschreibt, daß die freie Trägerlandschaft aus seinem regulären Bezirkshaushalt bezahlt wird. Die Nachbarbezirke Hohenschönhausen und Marzahn tun es ihm gleich. Bärbel Grygier, Hohenschönhausens PDS-Bürgermeisterin, überschritt die Etatobergrenze gleich um zehn Millionen Mark. Und selbst ihr umstrittener Marzahner Parteikollege Harald Buttler sah sich zum erstenmal einig mit seiner PDS und allen anderen Bezirksparteien, als er im besten DDR-Slang forderte: „Wir müssen von der teuren Havariesituation in die planmäßige Werterhaltung kommen.“ Auf deutsch: Die soziokulturellen Pflichtaufgaben müssen weg vom zweiten Arbeitsmarkt und hinein in die ordentlichen Bezirksbudgets.
Die schwarz-roten Sparkomissare werden der PDS den Gefallen nicht tun. Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) bemerkte vor der abschließenden Lesung des Budgets, es sei Aufgabe der Bezirke, mit ihren Sparetats zurechtzukommen. Die Koalition wird weder dem 225 Millionen Mark schweren Feuerwehrfonds der Grünen zustimmen, noch wird sie den Antrag der PDS nachgeben, die Etatobergrenzen der betroffenen Bezirke zu erhöhen. Klett gibt sich nicht geschlagen. „Mit meiner Unterschrift“, so der PDS-Bürgermeister, „wird der Jugend- und Sozialetat des Bezirks nicht abgesenkt.“ Lieber gehe er mit 20 Millionen Mark minus ins nächste Jahr. Christian Füller
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