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100 % Service mit 30 %Wissen

■ Modell Heidelberg: Zehn Bürgerämter bieten (fast) alles aus einer Hand

Der größte Coup der Heidelberger Verwaltungsreformer war die Abschaffung der Kfz-Zulassungsstelle. Während andernorts noch immer ein halber Urlaubstag fällig ist, um des Deutschen liebstes Stück ordnungsgemäß registrieren zu lassen, brauchen die Bürger der Romantik-Stadt dafür nurmehr eine Viertelstunde. Kein Wunder, daß Reformer aus vielen Städten nach Heidelberg pilgern.

Denn die Heidelberger können diesen lästigen Behördengang obendrein gleich in einer der zehn Zweigstellen des Bürgeramtes in ihrem Stadtteil erledigen. Und nachdem die Stadt einen Prozeß gegen die um ihre Pfründe bangenden örtlichen Schilderhändler gewonnen hat, können sie dort auch gleich ein Nummernschild kaufen, nur wenig teurer als im Laden. „Wir leihen den Leuten sogar einen Schraubenzieher“, sagt Nicola Schäfer, Leiterin der Außenstelle im Stadtteil Handschuhsheim.

Kein Wunder, daß die Menschen in der 140.000-Einwohner-Stadt ihr Bürgeramt lieben: Umfragen haben zu 98 Prozent positive Reaktionen ergeben. 200.000 Besucher mit mehr als 230.000 verschiedenen Anliegen weist der Rechenschaftsbericht des Amtes für 1996 aus. Denn neben Nummernschildern gibt es in jeder Zweigstelle auch Pässe, Anmeldebescheinigungen, Wohnberechtigungsscheine, Beglaubigungen, Lohnsteuerkarten und vieles mehr. Anträge auf Wohngeld und Sozialhilfe und andere Leistungen können hier ebenso beantragt werden wie Gewerbescheine; die Mitarbeiter machen kompetente Erstberatung und leiten die Anträge dann an die Fachämter weiter. Außerdem kassieren sie Steuern und Gebühren. Aus ihrem eigens entwickelten Computerprogramm lassen sich in Sekundenschnelle zahlreiche Informationen abfragen, von der Öffnungszeit des Finanzamtes bis zu den Terminen des Heimatvereins.

Die ersten Bürgerämter wurden in Heidelberg 1992 eröffnet, nachdem die 1990 gewählte Oberbürgermeisterin Beate Weber (SPD) die Einführung der örtlichen Verwaltungsstellen zur Chefinnen-Sache gemacht und dem städtischen Hauptamt übergeben hatte. Schrittweise übernahm dann das Bürgeramt Aufgaben der Fachbehörden. Mit den Fachleuten dort sind die Außenstellen online vernetzt. „So können wir mit 30 Prozent Wissen 100 Prozent Service bieten“, sagt Amtsleiter Rudi Lerche.

Mit der bürgernahen Verwaltung sollte auch der Verkehrsstrom in die von Touristen überlaufene Altstadt am Neckar verkleinert werden. Die dezentrale Struktur hat auch historische Gründe, denn Heidelbergs Stadtteile waren früher eigenständige Dörfer und sind zum Teil älter als die Kernstadt. Mit den Bürgerämtern ist wieder Leben in die alten Rathäuser eingezogen, wo die meisten Ämter neben örtlichen Vereinen eingezogen sind.

Auf den 50 Vollzeitstellen des Bürgeramtes arbeiten 70 Menschen, zwei Drittel davon Frauen, Durchschnittsalter 25. Die einzelnen Zweigstellen sind von Teams mit mindestens drei Leuten organisiert, die ihre Arbeitszeit selber einteilen und ihren Bedarf an Fortbildung eigenständig ermitteln. Die Teams sind aus Menschen mit verschiedenen Fachgebieten zusammengsetzt. Team-Leiterin Nicola Schäfer aus Handschuhsheim, die früher fünf Jahre im Sozialamt tätig war: „Natürlich habe ich jetzt anderen Streß. Aber der Reiz ist, eigenständig und eigenverantwortlich zu arbeiten. Ich nehme meine Arbeit sehr viel persönlicher als früher“.

Geöffnet ist jeden Werktag außer Montag von 8.30 bis 16 Uhr, die meisten Menschen kommen morgens und am Nachmittag. Den Montag brauchen die MitarbeiterInnen, um Überstunden abzufeiern, sich weiterzubilden oder die anfallende Post zu erledigen. Beschwerden von Menschen, die sich von den Generalisten in den Bürgerämtern etwa in Sachen Sozialhilfe schlecht beraten fühlen, gibt es nach Angaben von Nicola Schäfer fast nie.

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