: Milde Strafe für Totschläger
■ Ein Hamburger Bauingenieur erstach einen Mann aus Gambia. Weil er ihn im Erste-Klasse-Abteil der S-Bahn störte
Hamburg (taz)– Ohne Fahrschein fuhr Kolong Jamba erster Klasse in der Hamburger S-Bahn. Anstatt das Abteil im Streit zu verlassen, blieb der Gambier sitzen. Dadurch, so meinten gestern die Richter am Stader Landgericht, trage er Mitschuld an seinem Tod. Kolong Jamba wurde von seinem Abteilnachbar Winfried Sch. erstochen.
Den 54jährigen Bauingenieur aus Hamburg verurteilte die Strafkammer zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung. Zudem muß er an eine Hilfsorganisation eine Geldbuße von 6.000 Mark zahlen.
Zum zweitenmal verließ Winfried Sch. als freier Mann den Schwurgerichtssaal des Stader Landgerichts. Im Dezember 1993 tötete er Kolong Jamba im Zug von Hamburg nach Buchholz in der Nordheide. Zu einem Streit in dem Erste-Klasse-Abteil war es gekommen, als Winfried Sch. sich durch den Gambier gestört fühlte. Immer wieder riß er deshalb das Fenster auf, um ihn mit kalter Zugluft zu vertreiben. Schließlich eskalierte der Streit. Winfried Sch. stach zu.
Das Landgericht sprach ihn im Frühjahr 1995 frei. In Notwehr habe er den Schwarzafrikaner erstochen, rekonstruierte die damalige Kammer die Tat allein aufgrund der Aussage des angeklagten Bauingenieurs. Doch der Bundesgerichtshof kassierte das Urteil wieder ein: Indem er immer wieder das Fenster öffnete, habe Winfried Sch. die tödliche Auseinandersetzung schuldhaft provoziert. Bei der anschließenden Verteidigung hätte er sich zurückhalten müssen. Ehe er zustach, hätte er um Hilfe rufen können, denn vor der Abteiltür standen Mitreisende.
Gestern nun beschritt das Stader Landgericht einen Mittelweg. Wohl durfte Winfried Sch. das Messer ziehen, hielt die Kammer dem Bauingener zugute, und wohl durfte er damit auch zustechen. Nur den Bauch von Kolong Jamba, den hätte er nicht treffen dürfen. Daß der routinierte Hobbyjäger zielsicher die tödliche Stelle traf, qualifiziere die Tat als Totschlag, allerdings nur in einem minder schweren Fall. Dabei erkannte das Gericht Winfried Sch. als den Provokateur des Streits. Im Verlauf der Auseinandersetzung habe er sein Messer aus der Jacke genommen und am Gürtel befestigt. So vorbereitet, habe er auf eine Reaktion von Kolong Jamba „gelauert“. Trotzdem wird Jamba zum Angreifer erklärt. Mit der Faust sei er auf Winfried Sch. losgegangen, so daß dieser zustach.
Nach der Urteilsverkündung breitete sich Unruhe im Gerichtssaal aus. Freunde und Angehörige von Kolong Jamba waren empört über die milde Strafe für Winfried Sch. Nebenklageanwalt Georg Debler, der die Familie des Getöteten vertritt, hatte Winfried Sch. in seinem Plädoyer noch vorgeworfen: „Sie wollen das Opfer sein. Doch Sie sind der Täter.“ Gestern ließ der Bauingenieur über seinen Anwalt verlauten, er fühle sich durch das Urteil ungerecht behandelt, denn er sei unschuldig am Tod Kolong Jambas. Elke Spanner
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