■ Kommentar: Keine „grands projets“
Bis zum Fall der Mauer haben die Baulöwen der westlichen Stadthälfte wie auf einer Insel der Seligen gelebt. Den Markt diktierten sie, die Projekte gehörten ihnen, und wer von außerhalb in der Frontstadt bauen wollte, mußte schon den eigenen Beton mitbringen. Seit der Vereinigung ist es mit dem Westberliner Kartell vorbei und die Konkurrenz Alltag. Für die Bauwirtschaft fiel in der Ära Nagel dennoch ein dicker Brocken ab: beim Wohnungsbau, der Sanierung und Modernisierung, beim Straßenbau und den Infrastruktureinrichtungen. Daß den Part des bösen Buben die Generalunternehmer samt ausländischer Subfirmen spielen mußten, gehörte zum Geschäft, ebenso das Jammern über verpaßte Aufträge.
Der Angriff der ansässigen Bauindustrie auf die Bau- und Wirtschaftspolitik des Senats bildet eine neue Qualität, werden doch die „sinnlosen Großprojekte“ in toto kritisiert. Statt Gelder in Megaprojekten zu „verpulvern“ – wie beispielsweise die Messe und die Großsporthallen –, sollten öffentliche Investitionsmaßnahmen und „kleinteiligere“ Planungen gefördert werden. Die Offensive hat nicht nur ökonomische Gründe. Sie bedeutet die politische Ablehnung der derzeitigen Senatsstrategie, die die wenigen Finanzmittel am Bedarf der Stadt vorbei investiert und sich trotz Krise am Bild einer repräsentativen Hauptstadt mit „grands projets“ berauscht. Rolf Lautenschläger
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