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1997 ist Europa ganz antirassistisch

Die Europäische Gemeinschaft läßt 12 Monate lang gegen Fremdenfeindlichkeit anreden und anfeiern. Die deutschen Lichterketten gelten der EU-Kommission als vorbildliche Aktion  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Das Europäische Jahr gegen den Rassismus ist schon zwei Monate alt, aber den Kalender haben bisher vor allem Ereignisse der institutionalisierten Fremdenfeindlichkeit geprägt. Der deutsche Innenminister verhängte eine Visumpflicht für in Deutschland aufgewachsene Ausländerkinder, sein französischer Kollege Jean-Louis Debré will die Franzosen verpflichten, ausländische Besucher an- und abzumelden. Die spanische Regierung denkt über Schritte gegen nordafrikanische Einwanderer nach, die griechische gegen Arbeiter aus Albanien. Vielleicht hat deshalb kaum jemand mitbekommen, daß die Europäische Union am 29. Januar im holländischen Den Haag mit viel Tamtam das Antirassismusjahr 1997 eingeleutet hat. EU-Kommissionschef Jacques Santer und der Präsident des Europaparlaments, José-Maria Gil-Robles Gil-Delgado, haben dort moralisch hochstehende Reden über das Zusammenleben auf dieser Erde gehalten.

Eine Woche später trafen sich die 15 EU-Innenminister 20 Kilometer weiter in Noordwijk, um sich ein Wochenende lang Gedanken darüber zu machen, wie sie die EU vor den Elendsflüchtlingen aus Ost und Süd abschirmen könnten. Für die meisten EU-Regierungen ist Rassismus offensichtlich nur, was mit Glatze und Springerstiefel daherkommt. Dementsprechend gering ist auch das Budget, das für das Jahr gegen den Rassismus eingeplant ist. Umgerechnet knapp 12 Millionen Mark hat die EU-Kommission in Brüssel für Verantstaltungen zum Thema Antirassismus zur Verfügung. Davon sind drei Millionen Mark für die zentralen Ereignisse wie in Den Haag und Luxemburg eingeplant.

Die anderen neun Millionen sollen auf 25 nationale und regionale Projekte verteilt werden, macht weniger als 40.000 Mark pro Ereignis. Die EU-Kommission geht davon aus, daß die Regierungen der EU-Länder noch einmal dieselbe Summe drauflegen. Doch die zeigen sich bisher eher zurückhaltend. Bis auf die nationalen Auftaktveranstaltungen wie die in Berlin ist noch so ziemlich alles offen. „Wir sind mit der Planung etwas im Rückstand“, klagt Annette Boscher, die bei der EU-Kommission für die Koordinierung zuständig ist. Das liege daran, daß die britische Regierung im letzten Jahr aus Protest gegen das Exportverbot für britisches Rindfleisch alle EU-Beschlüsse über Monate blockiert habe. Immerhin steht aber bereits fest, daß der Abschluß des Antirassismusjahres im Dezember in Luxemburg sein wird.

Bis dahin ist neben den üblichen Seminaren und Konferenzen unter anderem ein Posterwettbewerb in Dänemark und eine Fun-Rallye in Belgien geplant, die unter dem Motto „Jugend gegen Intoleranz“ stehen soll. Eine ganze Reihe von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben in Brüssel Vorschläge eingereicht, aus denen in den nächsten Wochen die förderungswürdigen ausgewählt werden sollen. Auch der deutsche Arbeitgeberverband hat Mittel für seine Antirassismuspolitik beantragt.

Laut EU-Kommission ist das Ziel des Europäischen Jahres gegen Rassismus, in der Öffentlichkeit ein Bewußtsein dafür zu schaffen, „daß der Rassismus eine Bedrohung darstellt“. Deshalb sollen vor allem bürgernahe Projekte gefördert werden, die über die Gefahren der Fremdenfeindlichkeit informieren und den Erfahrungsausstausch zwischen fremdenfreundlichen Menschen fördern. „Die Lichterketten in Deutschland etwa“, meint Annette Boscher, „bieten sich zur Nachahmung an.“

Die im Antirassismus-Netzwerk United zusammengefaßten rund 400 NGOs sind geteilter Meinung. Einige NGOs begrüßen, daß die EU das Thema Rassismus endlich aufgreift und auch noch Geld dafür herausrückt. Andere sprechen von einer Alibiveranstaltung und bleiben auf Distanz. Sie stoßen sich vor allem daran, daß die Aktionen in einigen Ländern, darunter auch Deutschland, von den Innenministerien koordiniert werden. Deren Ausländerpolitik sei schließlich Teil des Problems, das sie nun ein Jahr lang feierlich zu bekämpen vorgäben.

EU-Koordinatorin Annette Boscher hofft, daß 1997 etwas Bleibendes gegen Fremdenfeindlichkeit entsteht, beispielsweise ein Kapitel im Maastricht-II-Vertrag über die Notwendigkeit einer antirassistischen Politik. „Wir können uns auch eine europäische Antidiskriminierungs-Richtlinie vorstellen.“ Unklar ist, ob es in diesem Jahr noch, wie ursprünglich geplant, zur Einrichtung einer „Europäischen Beobachtungsstelle für rassistische und fremdenfeindliche Phänomene“ kommen wird.

Bisher gibt es lediglich einen Entwurf der EU-Kommission. Die Innenminister der 15 Mitgliedsländer müssen sich über Ort und Aufgabenstellung erst noch einigen. Vor allem die britische Regierung möchte verhindern, daß die neue Einrichtung irgendwelche ernsthaften Zuständigkeiten bekommt. Nach britischer Auffassung ist Rassismus ein national zu lösendes Problem. Außerdem gebe es schon zu viele europäische Institutionen.

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