Kompromißsuche

■ In Albanien sitzen Regierung und Opposition an einem Tisch. OSZE-Delegation in Tirana eingetroffen. Süden fest in Rebellenhand

Tirana/Wien (dpa/AP/taz) – Angesichts der explosiven Lage im Süden haben Regierung und Opposition in Albanien gestern einen neuen Versuch zu einer politischen Lösung der Krise unternommen. Staatspräsident Sali Berisha traf überraschend mit den Führern der großen Parteien zusammen, darunter auch Vertretern der postkommunistischen Sozialistischen Partei (SP). Ein Oppositionssprecher sagte, bei dem Treffen solle versucht werden, einen Kompromiß zwischen der Forderung der Opposition nach einer Allparteienregierung und Berishas Beharren auf einer von der Demokratischen Partei (DP) gestellten Regierung zu finden.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) schickte gestern ein Vorauskommando nach Tirana. Der Missionschef der OSZE, Franz Vranitzky, kündigte an, er werde „sicher in den allernächsten Tagen“ auch selbst nach Albanien reisen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Das habe er mit Berisha vereinbart.

Ein hochrangiger Funktionär in Tirana hat unterdessen bestätigt, daß Zivilisten „auf freiwilliger Basis“ mobilisiert wurden, um die Armee bei der Niederschlagung des bewaffneten Aufstands im Süden zu unterstützen. Zugleich räumte er ein, daß Teile der Armee-Einheiten im Süden die Befehle aus Tirana nicht befolgten. Die Städte Vlorä, Sarandä und Delvinä sind nach Augenzeugenberichten weiter unangefochten in der Hand der bewaffneten Aufständischen.

Der italienische Außenminister Lamberto Dini rief Berisha zur Bildung einer „Regierung der nationalen Aussöhnung“ auf, der Politiker aller politischen Parteien angehören sollten. Berisha habe ihm zugesagt, daß die Sicherheitskräfte die Revolte nicht mit Gewalt niederschlagen würden.

In der Hafenstadt Sarandä beschädigten die Aufständischen gestern zwei Brücken und errichteten Barrikaden. Der griechische Fernsehsender Skai berichtete, eine der beiden Brücken nahe der griechischen Grenze sei durch eine Sprengung für Panzer und schwere Fahrzeuge unpassierbar gemacht worden. Im Norden Sarandäs sei eine Brücke gesprengt worden, um Regierungstruppen aus dem 20 Kilometer nördlich gelegenen Gjrokasträ am Marsch auf ihre Stadt zu hindern. In der Hafenstadt Vlorä herrscht nach der Einnahme durch die Aufständischen offenbar völliges Chaos. „Es gibt keine Polizei und keine Behörden. Die Leute überfallen die Geschäfte und die Betriebe, um sich mit Gütern aller Art einzudecken“, berichtete eine spanische Reporterin aus der Stadt. Die Atmosphäre sei nicht von Gewalt geprägt. Es herrsche Volksfeststimmung. Bewaffnete Männer feuerten in die Luft und riefen: „Es lebe das befreite Albanien!“ Schwere Waffen wie Panzerabwehrraketen oder Artillerie seien in der Stadt nicht zu sehen.