Lernen und baden

Den Kurorten geht es nach der Gesundheitsreform an den Kragen. Innovative Ideen sind gefragt  ■ Von Claudia Müller

Die deutschen Kurorte fürchten Schlimmes: Allein der bayerische Heilbäderverband verkündete nach Inkrafttreten des neuen Kurgesetzes im September letzten Jahres den Verlust von 40.000 Arbeitslpätzen. Jetzt suchen die Kurdirektoren händeringend nach Auswegen aus der Misere: Landauf, landab geistert das Wundermittel Erlebniskur durch die Köpfe. Eine andere Idee hatten die Verantwortlichen im oberbayerischen Bad Reichenhall: Sie gründeten kurzerhand die „Reichenhaller Akademie“. Künftig lautet die Devise, nicht nach Bad Reichenhall zu fahren, weil man es an den Bronchien oder im Kreuz hat, sondern um Neues über japanische Gartengestaltung oder über Kameraführung zu erfahren.

Von der Latin Percussion über Tanzimprovisation bis hin zu TV- Schulungen für Politiker wird einiges geboten. Die Kosten für ein- bis dreitägige Seminare liegen zwischen 70 und 450 Mark. Nebenbei: Verspannte Leiber können laut Prospekt auch durch eine Klangschalenmassage Linderung erfahren. „Das Angebot der Reichenhaller Akademie übertrifft alle Erwartungen“, kündigt Rupert Fegg vollmundig an.

Fegg ist vom Leiter der Bad Reichenhaller Volkshochschule nun auch zum Direktor der neu gegründeten Akademie aufgestiegen. Die Kurse sind teuer, aber auch die Stadt hat sich das Projekt etwas kosten lassen. Die Startkosten belaufen sich nach Feggs Angaben auf ungefähr eine Million Mark. Aber nach fünf Jahren, so schätzt er, werde man schwarze Zahlen schreiben.

Ganz klar, die Akademie soll die Folgen der Gesundheitsreform lindern. Zwar ist das Jahr 1996 in Bad Reichenhall noch ganz gut verlaufen – es kamen etwas weniger Privatkurgäste (unter einem Prozent im Vergleich zu 1995) –, aber bei den stationären Kuren konnte man die Zahlen sogar noch geringfügig steigern. Doch die Besucher bleiben nicht mehr so lange: Ein durchschnittlicher Kuraufenthalt schrumpfte von einst drei auf knappe zwei Wochen im Jahr 1996. Kurdirektor Günter Engelmann kommentiert die Lage skeptisch: „Wir müssen unbedingt einen neuen Gästekreis aufbauen, um die Verluste auszugleichen. Vor allem junge Leute müssen wir hierher locken.“

Genau. Zum Beispiel, um für vier Tage in voralpiner Bergluft Reportageschreiben zu üben. Kosten 1.150 Mark. Klaus Steiner, Leiter der Berliner Dependance der Henri Nannen Schule, ist eigens nach Bad Reichenhall geholt worden, um die Akademie mit ins Rollen zu bringen.

Die Kurärztin Liselotte Angerer hegt Zweifel, ob Reichenhall für junge Menschen wirklich ein attraktives Ziel ist: „Ein Jugendlicher ist hier wirklich nicht in bester Gesellschaft.“ Was sie meint, wird besonders eindrücklich, wenn man im Kurpark rund um das Gradierwerk schlendert, wo die Luft durch die hohe Salzkonzentration besonders heilsam wirkt. Rund um die bereitgestellten Spucknäpfe herrscht reger Andrang. Überall röchelt und hustet es. Keiner ist dabei, der nicht mindestens 60 Jahre zählte.

Rupert Fegg und die Stadt Bad Reichenhall setzen trotzdem nicht auf Modesportarten wie Mountainbiking, Rafting und Gleitschirmfliegen, die vor allem Erlebnishungrige nach Reichenhall locken könnten. Aktivkuren, wie sie in letzter Zeit in vielen Kurorten in Mode gekommen sind, wird es in Reichenhall nicht geben. Die Stadt setzt auf Kultur.