Echt, alles für'n Arsch?

Unterhalb des Sport-BHs drei markant gewölbte Zweierreihen: Bodysculpting und andere Neuigkeiten aus dem Land der Prüderie und Fitneß  ■ Von Andrea Böhm

Ich gehörte bis vor nicht allzu langer Zeit noch zu der armseligen Minderheit der Unwissenden, die meinten, bei einem „Sixpack“ handele es sich um ein Sechserpack Bier. Oder um ein halbes Dutzend Atommüllbehälter. Bis wir bei einer Stippvisite in einem New Yorker Fitneßklub jenes Poster mit der Überschrift sahen: „Ist es nicht ätzend, daß Männer uns nur wegen unserer Intelligenz attraktiv finden ...“ Darunter eine Gewichte stemmende Superathletin mit dem Hochglanz-kompatiblen Schweißfilm auf der Haut.

„Kein Gramm Fett“, sage ich anerkennend. „Alles Muskeln und Samenstränge“, ergänzte Clarice. „Also die Bauchmuskeln von der hätte ich auch gern“, wandte ich ein. „Das nennt man nicht Bauchmuskeln, meine Liebe. Das ist ein astreines Sixpack.“ Tatsächlich. Unterhalb des Sport-BHs folgten drei Zweierreihen mit markant herausgebildeten Wölbungen. Clarice und ich nickten uns entschlossen zu und verbrachten den Rest des Nachmittags mit Sit-ups.

Zwar haben es die Modedesigner immer noch nicht mitgekriegt und präsentieren nach wie vor Models wie Kate Moss, der man noch nicht einmal einen schweren Mantel umhängen möchte. Aber abseits vom Laufsteg gilt: Die Frau von heute hat Muskeln. Natürlich nicht solche, die sie von unbezahlter mütterlicher oder bezahlter körperlicher Arbeit kriegt, sondern solche, die sie – ganz allein mit sich und der Hantel – selbst ziseliert. Bodysculpting heißt das.

Meine Freundin Clarice und ich bekennen grundsätzlich, Anhängerinnen der Sixpack-Fraktion zu sein. Daß die Frau das Runde und Weibliche symbolisiert, ist schön und gut. Aber es muß ja nicht gerade die Bauchdecke sein.

Doch: Bodysculpting ist ein schwieriges Unterfangen mit sehr komplexen Nuancen. Auf keinen Fall darf Frau übertreiben, also die Grenze zum Bodybuilding überschreiten. Weibliche Bodybuilder gibt es zwar längst, doch so richtig mehrheitsfähig sind Frauen im Schwarzenegger-Format auch in den USA nicht geworden – trotz größerer Entfaltungsfreiheit.

Sehr zum Leidwesen (und zur heimlichen Belustigung) der feministisch durchwehten Sixpack- Fraktion hat sich zwischen New York und Los Angeles nun ein Ritual eingebürgert, das muskelbepackte Bodysculpteusen zum Wettkampf lockt, bei denen sie nicht nur das Produkt der Trainingsstunden vorführen, sondern auch in Abendkleid und Bikini schaulaufen. Der Ansturm ist groß. Lange, dauergewellte, möglichst blonde Mähnen sind ebenso unabdingbare Voraussetzung wie stramme Waden, ein breites Kreuz und ein Teint, der den Verdacht nahelegt, daß im Solarium zu oft auf die Taste „well done“ gedrückt worden sei. Was wiederum meine Freundin Clarice und mich nicht davon abhält, mit einer Packung fettarmer Chips vor dem Sportkanal zu sitzen und unsere ganz persönlichen Wertungsnoten abzugeben. Zu breite Nackenmuskeln führen zu Punktabzug, „weil das“, sagt Clarice, „zu sehr nach Footballspieler aussieht“. Hat die Kandidatin ihre Beinmuskulatur vernachlässigt, um in der Bikini-Runde mit ihren Stöckelschuhen die – mehrheitlich männliche – Jury zu beeindrucken, dann hat sie bei mir keine Chance. Mir imponieren weder lange, schlanke Beine, noch hochhackige Schuhe. „Weil du beides nicht hast“, sagt Clarice.

Die tägliche Arbeit der amerikanischen Bodysculpteure ist nach der letzten Runde auf dem „Stairmaster“ noch lange nicht getan. Ausgerüstet mit Shampoo und Rasierzeug betritt sie die Dusche – nicht etwa um unerwünschten Anzeichen der Vermännlichung im Gesicht zu begegnen, sondern um sich die Beine zu rasieren. Unrasierte Beine in einer amerikanischen Damenumkleide bedeuten, daß es sich um einen Mann, eine Europäerin, eine Lesbe oder eine Schwarze handelt. Für weiße heterosexuelle Amerikanerinnen gilt – zumindest nach meinen Beobachtungen: Die Beine sind glatt wie ein Kinderpopo. Ich habe gehört, daß Bärte bei amerikanischen Männern unbeliebt sind, weil lange Zeit alle Bartträger außer Abraham Lincoln als Sozialisten galten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Angst hinter der Rasierwut weißer Amerikanerinnen steckt. „Quatsch“, sagt Clarice, „es ist einfach sexy.“ Schwarze Frauen sehen das anders, denn man sieht sie in der Umkleidekabine höchst selten mit der Rasierklinge hantieren. Clarice hat ihre schwarze Nachbarin auf dem „Stairmaster“ nach dem Grund gefragt: „Weil die Kerle das erotisch finden“, antwortete die.

Wenn Bodyskulpteusen oder -skulpteure über Erotik reden, dann ist das ein höchst seltsamer Vorgang. Kaum ein Ort des Abendlandes ist so unerotisch wie ein Fitneßcenter mit der Ausstrahlung von Reha-Station und „Raumschiff Enterprise“. Und kaum anderswo entblößen und exponieren sich Leute in diesem als prüde verschrienen Land mehr als hier. „Ist doch logisch“, sagt Clarice. „Das Fitneßcenter ist der sauberste Ort überhaupt. Du kümmerst dich nur um deinen Körper.“ Selbst die Übungen für die „iron buns“, „eiserne Pobacken“, bekommen hier hygienischen Charakter. Wie Zähneputzen.

Nach diesen kleinen Exkursen in Sachen Beinbehaarung und Po- Training zurück zur entscheidenden Frage: Warum sind Frauen plötzlich versessen auf Muskeln? Ganz einfach: Erstens wollen wir jeden Mist auch machen, den die Männer immer schon machen durften. Zweitens macht's Spaß. Drittens ist es ätzend, wenn Männer uns nur wegen unserer Intelligenz attraktiv finden.