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„Ich bin mein eigenes Model“

Schönheitsideale stressen ungemein. Und garantiert in jedem Alter. Mit süßen 17 stören die Pickel, mit stolzen 40 blickt frau sorgenvoll auf steile Falten an Hals und Stirn. Einfach dazu stehen? Frauen aus vier Generationen guckten scharf in den Spiegel

Katrin Bauer, 17 Jahre: „Überall lächeln die Supermodels“.

„Es ist doch so, daß wir in allen Lebenslagen Ideale vor die Nase gesetzt bekommen, wie wir sein sollten. An jeder zweiten Ecke lächelt mich ein Supermodel in knallengen Jeans und knappem Oberteil an. Wenn ich dann in der gleichen Hose im Kaufhaus vorm Spiegel stehe, würde ich am liebsten vor Scham unsichtbar werden, weil das, was ich sehe, nicht dem entspricht, was ich insgeheim gehofft hatte zu sehen. Mit einem Mal habe ich dann unheimliche Angst davor, nicht akzeptiert zu werden.

Das Ganze kann dann bei mir schon mal darauf hinauslaufen, daß ich Dinge, die mir mißlungen sind, darauf zurückführe, daß ich nicht schön genug war. Es dauert eine Weile, bis ich geschnallt habe, daß die Erwartungen meiner Freunde an mich ganz anderer Natur sind als die, die ich an mich selbst stelle. Außer mir selbst hat bis jetzt noch niemanden gestört, wenn ich unausgeschlafen aussah oder einen Pickel hatte.

In letzter Zeit geschieht es seltener, daß ich einen Tobsuchtsanfall wegen meines Aussehens bekomme, wenn ich in den Spiegel sehe. Ich bin nicht perfekt, aber mit den meisten meiner ,Fehler‘ habe ich mich beinahe abgefunden. Ich schminke mich nur noch, um das Gefühl zu haben, etwas für mein Aussehen getan zu haben. Das einzige, worüber ich mich regelmäßig ärgere, das sind die kleinen Fettpölsterchen an Hintern und Oberschenkeln. Wenn ich eine Jeans trage, fällt es genaugenommen nicht auf, aber es hat mich bis heute daran gehindert, öfter als ein- bis zweimal im Jahr einen kurzen Rock zu tragen.

Wenn ich auch nur zwei oder drei Kilo zugenommen habe, fühle ich mich so lange unwohl und fett, bis ich die wieder runter bekommen habe. Das ist ganz schön nervend, und um dieses Problem nicht mehr zu haben, will ich jetzt ins Fitneßcenter gehen.

Aber ich bekomme auch ziemlich schlechte Laune, wenn ich wegen irgendeines dämlichen Diätfimmels ohne Frühstück in die Schule gehe. Dann nehme ich zwar etwas ab, aber ich sehe auch immer unausgeschlafen aus, habe zugeschwollene Augen und nach spätestens zwei Tagen garantiert völlig struppige Haare.“

Barbara Dribbusch, 40 Jahre: „Im Spiegel, da sehe ich jetzt meine Mutter“.

„Die steilen Stirnfalten bleiben. Auch im Urlaub und nach zehn Stunden Schlaf. Die Lippen sind schmaler geworden. Die Lider hängen ein bißchen.

Seit ich 40 bin, sehe ich im Spiegel das Gesicht meiner Mutter. So wie ich heute aussehe, war sie mit 40. Damals war ich sieben, und so schaue ich mich heute an mit den Augen eines Kindes, das staunend den Linien des Alters folgt. Oft mischt sich darin auch Erschrecken, dann, wenn das harte Tageslicht von links meine scharfe Nasenfalte überfällt. Dann werde ich mir fremd. Mit den pudrigen Wangen, den müden Lidern und dem Wissen: So geht es immer weiter.

Im Älterwerden liegt aber auch ein bißchen Freiheit. Freiheit von jenem prüfenden – vermeintlich – männlichen Blick, mit dem ich mich zwei Jahrzehnte lang angeguckt habe, dem Blick, mit dem ich meine Figur, meinen Mund taxiert habe, den Kopf zur Seite geneigt.

Diese prüfenden Augen würden mich heute fertigmachen an Tagen, wenn ich müde und faltig aussehe. Die alten, brüchigen Tröstereien funktionieren ohnehin nicht mehr. Kam ich früher auch noch so schlechtgelaunt auf eine Fete, konnte ich mir eines gewissen grundsätzlichen Maßes an männlicher Aufmerksamkeit sicher sein. Heute gibt es diese Grundaufmerksamkeit nur noch selten. An laugrauen Tagen hilft mir nur mein Lächeln ins Spiegelbild: Heute muß ich nett zu mir sein.

Dann träume ich von Extremsportarten, will an Felswänden hochklettern. Den Körper nur noch wegen der Schönheit im Fitneßcenter zu restaurieren, macht mir jedenfalls keinen großen Spaß mehr. Lieber tanze ich zu Hause zu HipHop-Musik vor mich hin. Ich liebe mich, manchmal.

Mit 40 strahle die Frau von innen heraus, heißt es in einem Ratgeber-Buch. Quatsch. Ich habe nicht mehr Selbstbewußtsein als früher und heute nachmittag auch keine positive Ausstrahlung. Will ich auch gar nicht haben müssen.

Neulich hat mich meine Tochter so merkwürdig angesehen. Sie ist jetzt sechs und hat die gleichen Augen wie ich. In 35 Jahren wird sie mich im Spiegel erkennen. Und dann will ich ihr freundlich zulächeln.“

Nathalie Daiber, 28 Jahre: „Ich warte auf die ersten Falten“.

„Mit 18 hatte ich mein erstes graues Haar und dachte nicht darüber nach. Mit 28 habe ich Krampfadern und muß „Venen- walken“ gehen, jeden Tag mindestens eine halbe Stunde. Eigentlich fand ich altern bis dato gut. Nicht mehr diese ständigen Veränderungen morgens im Spiegel.

Ab 12 war ständig was los: Die Brust wächst, und ich stehe da, und dieser Umstand erfordert um 7.16 Uhr ein sofortiges Urteil: Ist das nun schön oder nicht? Denn die Antwort hatte weitreichende Folgen: Ziehe ich nun einen langen weiten Pulli oder ein enges T-Shirt an – das bedeutete Wohlbefinden für den ganzen Tag.

Und dann mit 14 die Frage: Ist der Hintern nun zu dick oder zu dünn, sollte ich also die Schokolade noch verdrücken oder doch lieber zum Müsli greifen?

So langsam habe ich mich an meinen Körper gewöhnt. Seit sechs Jahren bleib' ich wie ich bin. Morgens schaut mich immer das gleiche verschlafene Gesicht an. Meine Nase kommt mir nicht mehr unförmig vor, der Hintern ist rund, nicht mehr ein gigantisches Monster, und ich weiß, welchen Lippenstift ich benutze, um tagfein und wach zu sein.

Aber jetzt geht das schon wieder los, langsam wird das Spieglein an der Wand wieder grausam: Die blauen Adern ziehen sich durch meine Beine wie Flüsse durch die Landkarte. Altwerden ist beschwerlich: Venen-walking heißt, eine Bus- oder U-Bahn-Station früher aussteigen, nicht Aufzugfahren, sondern Treppensteigen. LL statt SS (politisch also korrekt): Liegen und laufen statt sitzen und stehen.

Jetzt schaue ich genau in den Spiegel und warte hoffnungsvoll auf die ersten Falten. Zwar habe ich noch keine, aber ich bin optimistisch: Dann glaubt mir endlich mal jemand, daß ich nicht 22, vorlaut, aber erfahrungslos bin. Und für das Outfit habe ich dann auch schon eine angemessene Lösung: Minirock mit blickdichten Stützstrümpfen, wenn es kalt ist. Die gibt es in allen modischen Farben in jedem Gesundheitsladen neben Blutdruckmesser und ABC-Heftpflaster. Im Sommer blühen mir dann Brigitte-schlabbermodische Hosen bis zum Boden. Es lebe der Winter.“

Inge Kaspar-Böhm, 59 Jahre alt: „Nicht-Beachtung kann auch befreiend sein“

„Mein Problem ist, daß ich mich im Innersten meines Herzens fühle, als sei ich noch 40. Ich versuche ständig, noch das zu leisten, was ich vor zwanzig Jahren geleistet habe – vor allem im Büro, was auf Dauer mörderisch ist. Wenn dann zwei Lümmel am S-Bahnhof zu mir sagen: ,Haste mal 'ne Mark, Oma?‘ gehen sie leer aus als Strafe dafür, daß sie mein Selbstbild zurechtgerückt haben. Denn natürlich merke ich jedes Jahr auf dem Buckel. Alles wird anstrengender, verbraucht mehr Energien, das Denken und Begreifen werden langsamer. Geist und Körper zwingen mir seit Jahren einen anderen Rhythmus auf – ich will es nur nicht wahrhaben.

Einen alternden Körper zu akzeptieren, ist schwer – für Frauen noch viel schwerer als für Männer. Wieviel das mit herrschenden Schlankheits- und Schönheitsidealen zu tun hat – ich weiß es nicht. Es war immer mein uralter Wunsch, beweglich und leicht zu sein. Ich wollte schon als Kind ganz weit springen können.

Männer? Männer meiner Generation suchen nach jüngeren, meist sehr viel jüngeren Frauen. Jüngere Männer sind nicht an 60jährigen Frauen interessiert. Diese Nicht- Beachtung empfinde ich inzwischen als befreiend. Sex hat enorm an Wichtigkeit verloren.

Ich brauche meine Zeit und meine Kraft für meine Malerei; für gute Gespräche mit interessanten Menschen, oft Frauen in meinem Alter, die gut zuhören können und aufeinander eingehen. Männer sind einfach zu anstrengend. Vielleicht sähe ich das anders, hätte ich die wahre Partnerschaft gefunden. Aber auch dann müßte ich ständig Kompromisse eingehen in meinem Leben, und dazu habe ich keine Zeit mehr.

Wenn mir jemand vor dreißig Jahren gesagt hätte, daß ich mich mit sechzig viel freier und erfüllter fühlen würde, hätte ich ihn ausgelacht. Ich genieße die Besuche meiner Kinder und Enkel – aber auch die Freiheit, nach ein paar Stunden wieder sagen zu können: ,Geht mit Gott, aber geht.‘

Ich spüre keine Angst vor dem Tod, nur Bedauern, daß die Zeit knapp wird. Daß ich vieles nicht mehr umsetzen kann, weil die Kraft und Ausdauer schwinden.“

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