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Warum nur immer Henning?

■ Gesichter der Großstadt: Medienstar Henning Harnisch versenkt für Alba den Basketball im Netz. Für das normale Leben hat der ehrgeizige und schüchterne Antiheld keine Zeit

Die Polaroid lauert immer schußbereit auf dem Holztisch. An der kahlen Wand lächeln die schon aufgespießten Opfer. Jeder, der die Altbauwohnung am Lausitzer Platz zum ersten Mal betritt, findet sich per Foto in der Besuchergalerie verewigt: Svetislav Pesic, der gefürchtete Trainer vom Basketballkultclub Alba Berlin, beäugt die Behausung seines Youngsters Henning Harnisch vom Foto aus kritisch-freundlich. Annette, die ehemalige WG-Mitbewohnerin aus Köln, hängt dort ebenso wie der „ehemals größere, jetzt nur noch ältere“ Bruder. Und alle Porträtierten warten auf die große Fete, die steigen soll, wenn die Wand mit Fotos vollgepflastert ist. Bis jetzt hat Harnisch aber erst rund 30 Leute fotografisch gesammelt, noch nicht genug für die ganz große Fete – der Publikumsliebling aus der Max-Schmeling-Halle hat für Besuche und das ganz normale Leben keine Zeit.

Seit September haust der 28jährige Basketballstar, frisch von „Bayer Leverkusen“ importiert, in seiner halbeingerichteten Kreuzberger Wohnung zwischen Bergen von riesigen Turnschuhen im Flur und blau-gelben Alba-Trikots auf dem Wäscheständer im Bad. Henning Harnisch, Jugendkultfigur bei Alba-Berlin: auf dem Spielfeld fliegender Zauberkünstler, in den Medien der politische Antiheld und privat angeblich „ganz normal“. Der schlaksige Riese (2,02 Meter), bis vor kurzem noch mit blondgefärbten langen Haaren, gibt eine dankbare alternative Kultfigur ab. WG in Köln, Wohnort Kreuzberg, er liest junge Welt und taz. Und statt Kriegsdienst hat der Theologensohn Zivildienst geleistet. „Es ist so einfach, aus der Norm zu fallen“, zuckt der schüchterne Harnisch die kantigen Schultern, „und das Schlimme ist, ich entspreche dem Klischee tatsächlich“. Alles wird bei ihm zum Medienereignis: Wenn er Punk hört, die Grünen nicht besonders links findet, Klaus Theweleits antipatriarchale „Männerphantasien“ im Regal stehen hat und seine Matratze auf dem Boden liegt.

Harnischs Bescheidenheit offenbart jedoch auch nur die halbe Wahrheit. Als ob er rein zufällig beim Leistungssport gelandet wäre. Eine gute Portion Ehrgeiz haben ihm die Eltern in Marburg mitgegeben. Und der Sport bringt Anerkennung für den Star mit dem Sprachfehler, Harnisch kämpft gegen sein Stottern. Und wenn er nicht zwischen den beiden Körben auf dem Spielfeld hin- und herfegt, wirkt er manchmal unsicher oder verloren – irgendwie zu groß geraten. Und auch bei den anderen Spielern schimmert manchmal die Verwunderung durch: Bei Sascha Obradovic zum Beispiel, dem Spielmacher von Alba: „Warum nur immer Henning?“ fragt er mit einer kleinen Spur Ernst.

Alba ist in. Auch wenn der Club in den vergangenen zehn Tagen drei Niederlagen hinnehmen mußte und das Ausscheiden aus der Europaliga vor der Tür steht. Nach den Spielen träufelt die Alba-Mannschaft, mindestens aber Henning Harnisch, stets in den Prenzlberger Kiez ein. Im „EntwederOder“ stehen nach Spielen in der Max-Schmeling-Halle immer gleich drei Leute hinter der Theke, um den Ansturm der Fans der Spieler „mit den großen Händen und den langen Fingern“ zu bewältigen. Im Osten hofft Harnisch noch was zu entdecken, wonach er im Westen gar nicht erst sucht: daß es dort noch etwas anderes gäbe, irgendwie die Leute anders miteinander umgingen. „Vielleicht ist es ein Mythos, ich kenne eigentlich auch nur Wessis“, gibt er zu.

Harnisch hat sich bisher nicht viel Zeit genommen, zu probieren, ob etwas anderes ihm überhaupt gefällt. Seit der fünften Klasse zählt für ihn nur Basketball. Und bei den täglichen zwei Trainingseinheiten, eine am Vormittag, eine am Abend, bleibt nicht viel Zeit übrig für die Wohnung, fürs Kino, so etwas wie Privatleben oder für das Berliner Ensemble, wo er gerne mal „Arturo Ui“ gesehen hätte. Die berüchtigte Autorität des Alba-Trainers duldet keinen Gott neben sich: Pesic verlangt 100 Prozent. Damit auch kein Prozent verloren geht, liegen die Trainingsstunden in der besten Kino-, Restaurant- und Konzertzeit. Die Männer sollen bloß nicht auf dumme Ideen kommen. Abends zwischen halb acht und zehn Uhr existiert nichts anderes als Basketball. Barbara Junge

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