: Souvenirs vom Frontabschnitt
■ Im Sinne von Aufklärung und Wissenschaft: Am Wochenende wurden in Berlin „Militaria“ versteigert. 310 Mark für eine Armbinde der Bahnhofswache Auschwitz
In „Schiefa's Restaurant“ im Berliner Stadtteil Schöneberg wird deutsch gegessen: Pickelhaubenharte Landjäger gibt's, zähe Schnitzel und Königsberger Klops mit Tunke.
Am Wochenende fand dort eine „Militaria“-Auktion statt, die vom „Auktionshaus für Geschichte“ eingerichtet worden war. Bei Sammlern von Orden, Uniformen, Waffen und Propagandamaterial hat dieses Haus einen guten Ruf. So trafen sich zahlreiche von ihnen zwischen Schankraum und Küche und arbeiteten, dirigiert vom Auktionator, in straffem Tempo den dicken Katalog mit seinen über 6.000 Angeboten durch. Für ihr Interesse an der Nazizeit war dort eine Selbstverpflichtung formuliert, die den weiten Mantel der Seriösität anbot: „Solange Sie sich nicht gegenteilig äußern, versichern Sie, daß Sie den Katalog und die darin enthaltenen zeitgeschichtlichen und militärhistorischen Gegenstände nur zu Zwecken der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der wissenschaftlichen und kunsthistorischen Forschung oder der Berichterstattung über die Vorgänge des Zeitgeschehens [...] erwerben (§86a StGB).“
Da saßen nun ältere, korrekt gekleidete Herren, die sich in die Ehrenrangliste des deutschen Heeres vertiefen oder die Geschichte des Magdeburger Husarenregiments studieren wollten und vielleicht noch eine kleine Anerkennung zu kaufen wünschten, etwa das „Ehrenzeichen für deutsche Volkspflege“ (800 Mark) oder das „Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband“ (1.000 Mark).
Da warteten Harley-Davidson- Fahrer darauf, Schmuck für ihre Lederkluft zu ergattern, das „Verwundetenabzeichen in Gold und Silber“ (110 Mark) beispielsweise oder die „Ehrenkreuze für Frontkämpfer“ (10 Mark). Und Liebhaber wehrhafter Heime schmückten in Gedanken schon ihre Wohnungswände mit neu erworbenen Säbeln, Degen und Grabenkampfdolchen.
Manche Dinge, etwa die Kanonenkugel aus dem 18. Jahrhundert (40 Mark) oder die Geschützkugeln (280 Mark), schien man als Ergänzung der Gartendekoration zu begehren. Anderes wurde für die Vitrine, das Repräsentierregal und fürs Kriegsspiel zu Hause gewünscht: die Blei- und Lineolsoldaten beim Exerzieren und beim Angriff oder jene farbig bedruckten Pappkärtchen, die karikaturhaft siegreiche Franzosen und betrunkene, betende und sterbende Deutsche darstellen und für das Abstecken des Kriegsverlaufs gedacht waren (35 Mark). Im Kosmos der Dinge beanspruchen die Kriegssouvenirs ein weites Feld: die Zigarrenabschneider aus Granaten (30 Mark), die Aschenbecher aus Schrapnellstücken (120 Mark), die Tintenlöscher aus den Propellern abgeschossener Flugzeuge (80 Mark), diese Flugscharen aus Schwertern sind auch im Zivilen noch Militärgerät.
Wer hat daran Freude? Viele, wie die nahen und die eifrigen fernen Bieter, die übers Telefon mitmachen, es zeigen. Der Krieg erscheint mit jenen Devotionalien als ein Schöpfer neuer Ordnung, als das ganz Andere, das die Erlösung von den Alltagsregeln bringt. Aber es sind nicht nur die Nostalgiker, die ihren Soldatenerinnerungen hier neue Nahrung geben. Da sitzen etliche junge Männer, die nicht so aussehen, als verfolgten sie als „Militärhistoriker zum Zwecke der staatsbürgerlichen Aufklärung“ das Angebot. In ihren schwarzen Lederjacken und mit ihren Stoppelhaaren wirken sie wie Krieger, die sich auf einen Kampf vorbereiten und sich hier mit Schulungsmaterial versorgen wollen.
Eine Lektion in Scheinheiligkeit gibt ihnen der Katalog. Für die Faszination des Krieges und die Schönheit des Schreckens ist er der beste Propagandist. Immer wieder bricht in seinen Kurzbeschreibungen die mühsam durchgehaltene Distanz zusammen, und es wird geschwärmt: Eine Ansichtskarte, die einen Soldaten zeigt, der seinen schwerverletzten Kameraden übers Gefechtsfeld schleppt und die der Slogan ziert: „Nicht du bist der Maßstab, sondern die Front“, wird als „äußerst dekorative Karte zum Tag der NSDAP“ bewertet. Ein Werk mit Arbeiten des Kriegszeichners Wolfgang Willrich, Schöpfer heldischer Soldaten- und Bauernporträts, wird als „absolutes Muß für den fortgeschrittenen Sammler“ empfohlen.
Selbstverständlich sind das auch jene Gegenstände, die unter der Rubrik „Verfolgung und Widerstand im N.S.-Regime“ angeboten werden: Ein Brandeisen der „SS- Totenkopfstandarte Dachau“, das vermutlich als Folterwerkzeug Anwendung fand (1.200 Mark), eine Dienstmarke der Gestapo (950 Mark) und eine Armbinde der Bahnhofswache Auschwitz (310 Mark). Für Hitlers Aquarelle eines Fachwerkhauses (10.000 Mark) und die Skizze einer Stadtansicht (8.000 Mark) gab es keine Käufer; auch die vielen Belege antisemitischer Propaganda, Türaufkleber, Bücher, Postkarten, wurden kaum beachtet.
Hier scheute man den Besitz. „Infektiöses Material“ sei das, meinte ein Bieter in der Pause am Tresen – schon das Ansehen könnte gefährlich werden. Andreas Seltzer
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