Die Rebellen in Albanien wissen, daß sie zu einem Machtfaktor geworden sind. Trotz der Einigung zwischen Regierung und Opposition über Neuwahlen, Amnestie und Allparteienregierung sind sie vorerst nicht bereit, ihre Waffen auszuhändigen.

Die Rebellen in Albanien wissen, daß sie zu einem Machtfaktor geworden sind. Trotz der Einigung zwischen Regierung und Opposition über Neuwahlen, Amnestie und Allparteienregierung sind sie vorerst nicht bereit, ihre Waffen auszuhändigen.

Albanische Rebellen bleiben auf der Hut

Sie trauen der Regierung in Tirana nicht. Ungeachtet der Vereinbarung über Neuwahlen und der Bildung einer Allparteienregierung vom Sonntag sind die Aufständischen im Süden Albaniens vorerst nicht bereit, ihre Waffen niederzulegen. „Sie zögern, weil sie zuerst die Umsetzung der Vereinbarung sehen wollen“, sagte gestern der Oppositionspolitiker Etham Ruka, Präsidiumsmitglied der postkommunistischen Sozialistischen Partei (SP). „Das heißt, es müssen zuerst eine neue Regierung gebildet und ein Termin für Neuwahlen festgesetzt werden.“

Am Sonntag hatte Staatspräsident Sali Berisha nach stundenlangen Gesprächen mit Oppositionsführern zugesagt, diese beiden wichtigsten Forderungen der bewaffneten Rebellen zu erfüllen, und darüber hinaus eine Amnestie versprochen. Die Neuwahlen sollen nach dieser Einigung spätestens im Juni und unter internationaler Kontrolle abgehalten werden.

Seine Partei beanspruche in der Übergangsregierung das Amt des Innenministers sowie das ihm untergeordnete Staatssekretariat für die Lokalverwaltungen, erläuterte Ruka. „Nur auf diese Weise sind freie und unverfälschte Wahlen garantiert.“ Die Opposition hatte seit den Wahlen im vergangenen Mai die Arbeit des Parlamentes boykottiert, weil ihrer Ansicht nach das Ergebnis des Urnenganges durch massive Wahlfälschung zustande kam. Auch internationale Wahlbeobachter hatten erhebliche Unregelmäßigkeiten festgestellt. Bei den Wahlen hatte die regierende Demokratische Partei (DP) Berishas 122 der 140 Parlamentssitze erobert.

Die Aufständischen sind indes nicht nur nicht gewillt, ihre Waffen auszuhändigen – sie haben nach offiziellen Angaben inzwischen sogar weitere Städte im Süden des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Reisende bestätigten gestern die Angaben der Rebellen in Gjirokastär, seit Sonntag die Orte Berat und Permet, seit Montag nachmittag auch Polican und Skrapari in ihrer Gewalt zu haben. Damit kontrollieren die Aufständischen insgesamt elf Städte und Dörfer im Süden Albaniens.

Offiziellen Angaben zufolge wurden am Montag bei Schußwechseln in drei südlichen Ortschaften 25 Menschen verletzt. In Berat plünderten die Rebellen Augenzeugen zufolge ungehindert von den Soldaten die drei Kasernen und versorgten sich mit Waffen. Sie versuchten zudem, den benachbarten Militärflughafen in Kuvoca einzunehmen. Dabei wurden acht Menschen verletzt.

Eine Brücke markiert die Frontlinie zwischen dem von der Regierung kontrollierten Gebiet um die südalbanische Stadt Fier und den Rebellen der 20 Kilometer südlich gelegenen Stadt Vlorä. Am Sonntag, während der Ansprache des Präsidenten, legten Rebellen auf der Brücke Minen aus. Auf die Frage, was sie vom Angebot der Regierung hielten, reagierten sie mit Schüssen in die Luft und gaben lautstark zu verstehen: „Berisha muß weg. Dafür kämpfen wir.“

Die rund 30 Mann, die an der Brücke Wache hielten, hoben Schützengräben aus. Maschinengewehre, Panzerabwehrwaffen und ein Flak-Geschütz gegen Angriffe aus der Luft wurden in Position gebracht. Die Rebellen erwarteten den Angriff der albanischen Armee für Sonntag nachmittag, 16 Uhr. Und sie erwarteten Verstärkungen aus Vlorä. Der im Dezember aus der regulären Armee ausgetretene General Ibrahim Zenon sollte ebenfalls zu ihnen stoßen. Er ist nach den Aussagen der Wachposten jetzt der Oberkommandierende der sich formierenden Rebellenarmee.

Nach der „Befreiung“ der mit 60.000 Einwohnern größten Stadt der Region, Gjirokastär, strotzten die Rebellen am Samstag vor Selbstvertrauen. „Ihr“ Gebiet umfaßt nun eine Bevölkerung von rund 200.000 Menschen, etwa acht Prozent der Fläche des Landes und zwei Nord-Süd-Straßenverbindungen. Die Aufständischen wissen, daß sie zu einem Machtfaktor geworden sind. Sie sehen in den Oppositionsparteien in Tirana nach wie vor nicht ihre Interessenvertretung.

Eigene Sprecher haben sie aber auch nicht. Bisher ist es nach Aussagen der Rebellen in Vlorä nicht gelungen, eine zivile Macht aufzubauen. Zudem soll sich die Versorgungslage dramatisch verschlechtern. Angesichts der Waffenarsenale, die in der Stadt gelagert sind – so befinden sich dort nach Augenzeugenberichten in Bergstollen Abertausende von Minen, riesige Mengen an Munition, Panzerabwehrwaffen und Tausende von Handfeuerwaffen –, können sie Angriffen der Armee durchaus widerstehen. Am Sonntag brauchten sie dies nicht unter Beweis zu stellen: Der Präsident stoppte die Angriffsvorbereitungen.

Der ehemalige Premierminister und führende Sozialist Ylli Bufi begrüßte die Entscheidung Berishas, die Forderungen der Opposition nach Neuwahlen, Amnestie und der Bildung einer Allparteienregierung zu erfüllen. Seine Partei hätte sich zwar einen späteren Zeitpunkt für die Wahlen gewünscht. „Aber jeder Tag, der verstrichen wäre, ohne diese Forderungen zu erfüllen, hätte die Fronten im Süden des Landes noch mehr verhärtet“, erklärte Bufi.

Die Sozialisten, die bisher nicht den Rücktritt des Präsidenten gefordert haben, hoffen nun auf einen Dialog mit den Rebellen und die Beendigung der Kämpfe.

Auch die anderen Oppositionsparteien haben ähnliche Positionen. So unterstützten Thoma Mica von der Partei der Menschenrechte wie auch der Republikaner Sabri Godo und der Sozialdemokrat Skender Gjimshi die Bildung einer Allparteienregierung, an der sie teilnehmen werden. Die Frage jedoch, ob die Oppositionsparteien die nötige Integrationskraft haben, um die Rebellen zum Aufgeben zu überreden, können auch sie nicht beantworten. Unabhängige Intellektuelle in der Hauptstadt Tirana hoffen jedoch, daß die Oppositionsparteien eine Vermittlerrolle übernehmen. Erich Rathfelder, Tirana