: Lieber ein Au-pair zu Hause als ein Kind in der Kita
■ Senat will mit den neuen Kitagebühren elf Millionen Mark erwirtschaften
„Die Kindertagesstätten werden im nächsten Jahr zu pädagogischen Stundenhotels mit oder ohne Mittagsbüfett verkommen“, befürchtet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Das Abgeordnetenhaus hat kürzlich eine neue Regelung zur Kostenbeteiligung beschlossen, die ab Januar 1998 in Kraft tritt. Die neue Gebührenordnung teilt die Kinder in Vormittags-, Nachmittags-, Essens- und Ganztagskinder.
Eine alleinerziehende arbeitslose Mutter mit zwei Kindern hat zukünftig 95 Mark für jedes Kind zu zahlen statt bisher 75 Mark für das erste und 60 Mark für das zweite. Macht 55 DM mehr, jeden Monat. Manch eine Mutter wird sich in dieser Situation überlegen, ob sie ihre Kinder nur noch sieben oder gar nur vier Stunden täglich , also so kurz wie möglich, und nicht so lang, wie es pädagogisch sinnvoll wäre, in die Kita gibt. Jeanette Martins, jugendpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, weist darauf hin, daß Kinder sozialschwacher Eltern einen höheren Bedarf an pädagogischer Betreuung haben. Nach Meinung der GEW ist der familienbegleitende Auftrag der Kitas, Kinder „zu eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu erziehen“, mit der neuen Gebührenordnung gefährdet. Kinder würden dann „nur noch stundenweise abgegeben“, warnt die Gewerkschaft.
Durch die Gebührenerhöhung und die gleichzeitige Absenkung des Kita-Standards will der Senat insgesamt elf Millionen Mark erwirtschaften. Nach Meinung der GEW sei es fraglich, ob das klappt oder ob durch zusätzliche freie Kita-Plätze nicht unkündbare Erzieherinnen in den Personalüberhang kommen. Außerdem könne die Standardabsenkung dazu führen, daß Besserverdienende ihre Kinder privat betreuen lassen. Dafür gibt es ein gutes Argument: Bei einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 bis 120.000 Mark sind für das erste Kind 420 Mark und für das zweite 336 Mark zu berappen. Für diese 756 Mark kann beispielsweise ein Au-pair-Mädchen engagiert werden. „Die soziale Durchmischung der Kitas ist gefährdet“, warnen schon jetzt die Gewerkschafter.
Überproportional werden ab 1998 die Hortgebüren angehoben. Ein Platz wird zwischen 85 und 270 Mark kosten, 40 bis 50 Prozent mehr als gegenwärtig. Die GEW befürchtet eine Abmeldewelle. Schon heute würden nur 33 Prozent der Kinder im Westteil der Stadt einen Hort besuchen. Angesichts des Abbaus von Jugendeinrichtungen stellt sich für die Bündnisgrüne Martins die Frage, was die Kinder nach Schulschluß machen sollen. Die Zahl der Schlüsselkinder werde zunehmen. Marina Mai
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen