: Beats und Bässe aus dem Kellerloch
■ Fertige und glückselige Gesichter: Der Tresor feiert seinen sechsten Geburtstag
Wie es sich gehört in Siedler- und Ursprungsgeschichten, war am Anfang alles wild, abenteuerlich und chaotisch: „Damals, als die Mauer aufging, hatte man diesen allgemeinen Forschungsdrang. Alle haben erst mal geguckt – was ist da eigentlich?“, erzählt Regina Baer vom Tresor. „Der Leipziger Platz war noch ein weißer Fleck auf der Karte. Grenzgebiet. Als wir dort eingezogen sind, gab es weder Stromanschluß noch Wasseranschlüsse; nicht mal Tiefbaupläne. Nur haufenweise tote Telefonanschlüsse, alle von der Stasi. Ich hab' also diesen Raum gesehen und dachte: Supergeil! Alles, was du bis jetzt gedacht und getan hast, ist unwichtig. Das Ding ist es!“
Und wie bei jedem neuen „Ding“ waren die Grenzen zwischen Veranstaltern und Publikum noch recht fließend: „Wir konnten uns damals ja noch keinen Putzdienst leisten. So haben wir mit den ganzen Ravern in der Nacht zusammen geschrubbt, bevor die nächste Party dann steigen konnte.“
So ähnlich beginnt jede subkulturelle Ursprungsgeschichte. Das Kellerlabyrinth des ehemaligen Wertheim-Kaufhaus, in den zwanziger Jahren der größte Konsumtempel Berlins, zu DDR-Zeiten ein Intershop für Diplomaten, war jedenfalls ein romantischer Glückstreffer: Wände aus 1,50 Meter dickem Stahlbeton, poröse Steinpfeiler, rostige Metallgitter und im Tresorraum verrostete Schließfächer. Ein existentialistisch-morbides Ensemble, in dem bis heute die schwarzen Gründungshelden der Technomusik aus Detroit gepflegt werden: Juan Atkins, der vor einigen Wochen ein wunderschönes Set hinlegte, Blake Baxter, Derrick May, Kevin Saunderson usw.
Mittlerweile ist der Tresor eine erfolgreiche Institution, mit deren Image auch die Stadt gern für sich wirbt. Wie es weitergeht, ist ungewiß: Dimitri Hegemann, der Tresor-Chef, rechnet damit, daß es den Club noch mindestens ein Jahr an alter Stelle geben wird, hofft darauf, daß sich alles möglicherweise noch zwei Jahre hinzieht („Wir sind ja erst Bauabschnitt 2 am Leipziger Platz, und es gibt wohl Verzögerungen durch die Kanzler-U-Bahn“), und träumt weiter von einem „Technotower“.
In jedem Fall hat der Tresor – zumindest für alle, die nicht jedes Wochenende seit Jahren dort hinrennen – an Reiz kaum verloren. Nachts gibt es da immer noch diese fertigen oder glückstrahlenden Gesichter, die in neblig-verrauchter Luft im Lichtergeblitze kurz auftauchen, um wieder zu verschwinden wie die verzerrten Melodietrümmer, die zwischen metallenen Beats und endlosen Baßlinien ab und an mal „hallo!“ sagen, um für halbe Stunden, in denen die Musik nur daherbrettert oder 70er-Jahre-Disco-Stücke fröhlich kaputthaut, zur lieben Erinnerung zu werden und dann doch am Ende wieder freundlich aufzutauchen.
Irgendwie knüpft das begeisterte Herumjohlen der Tanzenden, wenn sich alles in geglückten Nächten miteinander verbindet, eher an die Frühzeiten des Bebops an als an weiße Poptraditionen, denkt man sich so und gratuliert dem Tresor also recht herzlich zum sechsten Geburtstag, der mit diversen recht prominent besetzten Partys noch bis Sonntag gefeiert wird.
Auflegen werden unter anderem Dr. Motte, von dem man sagt, er sei eigentlich der einzige, der noch ganz ernsthaft an die Parolen von „Love, Peace & Unity“ glaubt, Joey Beltram, dessen Sachen eher ecstasynah klingen, Paul van Dyk, der sich mittlerweile zu einem der 20 weltweit meistgebuchten DJs gemausert hat, Christian Vogel, der gern ins Experimentelle geht, und Blake Baxter, der immer noch viel Wert auf eine „spirituelle, angenehm sexy Stimmung“ legt. Detlef Kuhlbrodt
„6 Years Tresor“, jew. ab 23 Uhr, Leipziger Straße 126. Heute: Paul van Dyk, Freitag: Dr. Motte/Christian Vogel, Samstag: Blake Baxter/Christian Vogel/Joey Beltram
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