: Wadenkrämpfe mit Paprika
■ SchlapplacHHalde: Emmi & Berties neues Programm
Wer gedacht hätte, das Rentnerehepaar Emmi Hempel und Dr. Hieronymus Bertie habe sich nach der letzten Abschiedstournee 1993 – immerhin „80 Jahre im Beruf“ – nun endgültig in Steilshoop aufs Ruhekissen gelegt, der sah sich Ende Februar und Anfang März in der SchlapplacHHalde eines besseren belehrt.
Trotz des verheißungsvollen Titels Nichts wie heim bleibt es den rüstigen Musikern nicht erspart, sich mit den Schattenseiten des Daseins auseinanderzusetzen. Gerade so genußvolle Dinge wie das eigene Kranksein werden einem heutzutage durch überfüllte Apotheken und unübersichtlichen Wirrwarr an Medizin bzw. Beipackzetteln erheblich erschwert, so daß der einfache Schnupfen sich schnell zum Gesamtkörperkollaps ausweitet.
Aber nicht nur Allergien und die Vorteile des herausnehmbaren Gebisses, mit dem man nach den ewig lästigen Blagen der Nachbarn schnappen kann, dominieren den Abend im gut gefüllten, Ikea-bestuhlten Saal. Das Publikum erfährt so ganz nebenbei von einer originellen Lösung für das Problem der Wohlstandskrimi-nalität, bei der Steilshoop zum Modell für Deutschland werden könnte: Der Wohlstand wird einfach ganz abgeschafft.
Dies generiert allerdings neue Disziplinen wie Telefonhäuschen-weitwurf oder muntere Sprengungen von Schulportalen, mittlerweile telegen auf eingesandten Videoclips zu bestaunen.
All diese öffentlichen Sorgen werfen Hieronymus nicht aus seinen blauen Söckchen und bringen auch Emmi, die sich beim Hinsetzen immer wie ein Sandsack auf das zerbrechliche Gestühl plumpsen läßt, nicht aus ihrem alkoholischen Gleichgewicht, das in Sauf-arien und (gekonnt!) nacherzählten Gisela Schlüter-Witzen kulminiert.
Der Lebensmittelpunkt ist – wen wundert's – das eigene Wohnsilo, wo Emmi nach dem obligatorischen (Flaschen-)Einkauf die tödliche Isolation unter den Nachbarn zu spüren bekommt, wenn sie aufgrund des unvermeidlichen Aufzugdefekts irgendwo im Treppenhaus vom Wadenkrampf heimgesucht wird.
Unbestreitbare Highlights sind die musikalischen Darbietungen des Duos (Interpretationen von Peter Alexander bis J.S. Bach), wo Emmi alias Christoph Dohmke alle Register seines mimisch-gestischen Könnens zieht (der Sonnenuntergang!) und Bertie gleich Hans Peter Reuter am Klavier exemplifiziert, wieviel Paprika in der Julischka aus Budapescht steckt.
Man kann nur hoffen, daß die beiden trotz der übrigen Engagements (so zum Beispiel Reuter als Pianist von Monty Arnold) ihre Szenen von der Altenfront fortsetzen.
Christoph Schlee
Noch heute, SchlapplacHHalde, 20.30 Uhr
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