: Fünf Prozent vor Gericht
■ Heute urteilt das Verfassungsgericht über die Fünfprozentklausel bei den Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung. Bei Ablehnung möglicherweise Neuwahlen
Die Forderung nach einem generellen Rauchverbot in Einbahnstraßen wird möglicherweise bald in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Kreuzberg für dicke Luft sorgen. Denn die Spaßguerilla der „Kreuzberger Patriotische Demokraten/Realistisches Zentrum“ KPD/RZ, die unter anderem mit dieser Forderung in den Wahlkampf ging, verfehlte am 22.Oktober 1995 die Fünfprozent- hürde mit 4,6 Prozent nur denkbar knapp. Heute nun urteilt das Verfassungsgericht, ob diese Fünfprozenthürde verfassungsgemäß ist. Wenn die Richter die Regelung kippen, werden die Bezirksparlamente nach der nächsten Wahl gründlich anders aussehen. Möglicherweise drohen schnelle Neuwahlen und eine Verzögerung der Gebietsreform.
Den Stein ins Rollen gebracht hatten die rechtsextremen „Republikaner“ und neun Politiker der FDP. Weil sie den Einzug in die Bezirksversammlungen verpaßten, klagten sie gegen diese Vorschrift, nach der die Stimmen für Parteien nicht berücksichtigt werden, wenn sie bei den Wahlen zum Abgeordentenhaus oder zur BVV weniger als fünf Prozent erhalten. Die Kläger argumentieren, die Klausel verletze den Grundsatz der Chancengleichheit und der Wahlgleichheit.
Das Gericht hat wiederholt auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, wonach die Klausel zulässig ist, um eine Zersplitterung der Parteienlandschaft und eine dadurch erschwerte Regierungsbildung zu verhindern. Bei der Entscheidung wird es auch darum gehen, ob die Aufhebung der Hürde die Arbeit der Bezirksparlamente erschweren würde. Die Kläger argumentieren, ohne die Klausel würde mehr Demokratie in die BVV einziehen.
Wenn das Gericht die Klagen nicht ablehnt und damit alles beim alten bleibt, sind verschiedene Varianten denkbar: Die Richter könnten der Politik auftragen, bis zur nächsten Wahl 1999 die Hürde abzuschaffen oder eine niedrigere Hürde einzuführen. Eine Korrektur der 95er Ergebnisse (mit möglichen neuen Mehrheiten und möglichen anderen Bürgermeistern und Stadträten) ist jedenfalls rechtlich nicht möglich, hieß es vom Landeswahlleiter. Als letzter Ausweg blieben dann möglicherweise Neuwahlen zu den BVV im Sommer.
Sollte es ohne die Hürde zu einer Zersplitterung der Parteienlandschaft in den Bezirksparlamenten kommen, die die Einspareffekte bedroht, könnte das die geplante Verminderung der Bezirke behindern, heißt es aus der Koalition. Die CDU befürchtet außerdem mögliche neue linke Mehrheiten in den Bezirken, wenn ab 1999 das „politische Bezirksamt“ kommt, in dem Koalitionen frei verhandelbar sind und Stadtratsposten nicht nach Proporz vergeben werden. dpa/taz
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