■ Glosse: Alles Gute kommt von oben
Gondelbahnen sind Welten für sich. Man befindet sich hoch über allem, ist der Erde entrückt, die Welt und die Menschen werden kleiner und kleiner – richtig ameisenmäßig. Da macht es nichts, sich auszumalen, mal runterzuspucken oder Kippen aus dem Kabinenfenster zu schnipsen, selbst wenn in der Gondel stünde, daß dies bei Todesstrafe verboten sei. Schließlich leben wir nicht in Singapur. Die Bonner Parlamentarier indessen pflegen bei Gondelfahrten, etwa ferienhalber in der Schweiz, in Österreich oder Osttirol, noch an weitaus Schlimmeres zu denken. Gedanklich knallen sie wohl kurz unterhalb der Bergstation eine Gemse ab, pinkeln auf Wanderer weit drunten, bringen die Kabine gefährlich zum Schaukeln, bis sie beinahe herunterkracht, oder sägen die Seile und Masten ab, damit die Sache havariert.
Denn nicht anders ist es zu erklären, daß der Bundestag jetzt die geplanten Gondeln über der Reichstagsbaustelle hat abstürzen lassen. Eine Seilbahn sei würdelos und ein Sicherheitsrisiko ab 1999, so das verräterische Argument. Statt beispielsweise Herbert und Helga (beide Suhl/Thüringen) den touristischen Spaß zu gönnen, die Riesenbaustelle und später das „Arbeitsparlament Bundestag“ samt Abgeordneten staunend zu überfliegen, unterstellen diese, beide Suhler könnten Bombenwerfer aus politischen Motiven oder wahnsinnige Psychopathen sein, die sie aufs Korn nehmen wollten. Der Wähler als Terminator! Das ist aber nicht nett, drückt eigentlich Mißtrauen in die Urnengänger aus und führt zu noch mehr Politikverdrossenheit. Dabei macht die Fahrt in luftiger Höhe, entrückt von allem, nur mehr friedvoller, und man schweift in Gedanken ab... Rolf Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen