: Autonome Verteilung des Mangels
Während die USA und Japan die Ausgaben für Lehre und Forschung erhöhen, wird hierzulande nur noch zusammengestrichen. Statt mehr Geld kommt Konkurrenz und Wettbewerb ■ Von Wiebke Rögener
An griffigen Formeln ist kein Mangel: Wissen ist zum wichtigsten Rohstoff geworden, Zukunftssicherung braucht Innovationen im Bildungssystem, Wissenschaft und Forschung sind zentrale Standortfaktoren, heißt es in einem jetzt von Bildungsminister Jürgen Rüttgers herausgegebenen Papier „Hochschulen für das 21. Jahrhundert“. Auch der Bundeskanzler beschwor unlängst die Bedeutung des „Wissenschaftsstandortes Deutschland“.
Auf dem Plenum der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Ende Februar, wurden solche Bekundungen mit ungewohnter Schärfe als „bloße Lippenbekenntnisse“ bezeichnet. „Alle sich bietenden Tricks werden von den Länderfinanzministern genutzt, um den tatsächlichen Rückgang der Hochschulfinanzen zu verschleiern“, bemerkte der noch bis August amtierende Präsident der HRK, Hans-Uwe Erichsen. Doch selbst die offiziellen Haushaltsansätze der Länder ließen die materielle Austrocknung der Universitäten und Fachhochschulen erkennen: In Berlin fallen bis zum Jahr 2003 mehr als tausend Stellen weg, in Hamburg wird jede zweite, in Mecklenburg-Vorpommern werden zwei von drei frei werdenden Stellen gestrichen. Wenn Rüttgers ausführt, die Zeit für Reformmaßnahmen sei günstig, da bis zum Jahr 2005 etwa 50 Prozent der derzeitigen Hochschullehrer altersbedingt ausscheiden werden, erscheint das angesichts solcher Pläne als blanker Hohn.
Insgesamt wurde im Jahr 1996 die Finanzierung der Hochschulen faktisch um rund zwei Milliarden Mark gekürzt. Das entspricht der Schließung von sechs Universitäten mittlerer Größe. „Politik und Öffentlichkeit müssen wissen, ob sie dies vor der jüngeren Generation verantworten können. Im Vergleich dazu ist die Situation in den USA und Japan völlig anders“, so Erichsen: Die japanische Regierung beschloß im Juni 1996, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis zum Jahr 2000 zu verdoppeln. Im nächsten US-Bundeshaushalt ist eine Steigerung um 20 Prozent für den Bildungsbereich vorgesehen. Gerade in wirtschaftlich schwieriger Situation sei es notwendig, in Wissenschaft und Forschung zu investieren, stellt die HRK fest und fordert von Bund und Ländern ein solches antizyklisches Verhalten.
Doch mehr Geld für die deutschen Hochschulen ist nicht in Sicht. Statt dessen soll mehr Wettbewerb innerhalb und zwischen den Hochschulen zur Effizienzsteigerung führen. Universitäten und Fachbereiche müßten stärker als bisher um öffentliche und private Finanzmittel konkurrieren, fordert Rüttgers. Selbst eine Bezahlung der Professoren nach Leistung wird in Erwägung gezogen. Auch um die besten Studienanfänger könne gewetteifert werden: Zumindest einen Teil der Studienplätze sollen die Hochschulen „nach den Kriterien Eignung und Motivation“ selbst besetzen dürfen. Auswahlgespräche mit den Studienplatzbewerbern oder nach Fächern gewichtete Abiturnoten nennt er als Möglichkeiten. Nach dem zweiten Semester möchte Rüttgers dann die Studienleistung überprüfen lassen. Hier stimmt er mit dem neugewählten HRK-Präsidenten Klaus Landfried überein. Dieser zitierte auf einem Symposium „Hochschulreform durch Leistungswettbewerb und Privatisierung“ Ende 1994 zum Problem der Massenuniversität zustimmend Stefan George: „Schon Eure Zahl ist Frevel.“
Zukünftig sollen die Hochschulen immerhin die Freiheit erhalten, Überlast und Geldmangel selbst zu verwalten. Mehr Autonomie heißt das Stichwort. Anstelle der bisherigen kameralistischen Haushaltsführung, bei der es kaum möglich ist, Finanzmittel von einem auf den anderen Haushaltsposten zu übertragen, sollen Globalhaushalte treten, die die Hochschulen weitgehend selbst einteilen. Diese Vorstellungen Rüttgers decken sich mit der Forderung der HRK nach „weniger Staat“. Völlig ausgeklammert bleibt im Rüttgers-Papier wie auch in den Beschlüssen der HRK die Frage, wer innerhalb der Hochschulen an den Entscheidungen beteiligt wird. Die Gremien der akademischen Selbstverwaltung gelten allgemein als eher hinderlich. So ist denn viel von Effizienz, von Demokratie in der Hochschule jedoch nirgends die Rede.
Die Folge solchen Wettbewerbs soll eine stärker differenzierte Hochschullandschaft sein. Die Hochschulrektoren befürworten grundsätzlich eine solche Leistungs- und Qualitätsdifferenzierung. Die Kriterien bleiben allerdings bisher so verschwommen wie die Formulierung in einem von der HRK hierzu vorgelegten Papier.
Sind heute die Abschlüsse aller deutschen Universitäten mehr oder weniger gleichwertig, wird es künftig für die Chancen auf dem Arbeitsmarktmarkt vielleicht einen großen Unterschied machen, ob ein Diplom in Hamburg oder Heidelberg erworben wurde. Wir kämen damit zu ähnlichen Verhältnissen wie in den angelsächsischen Ländern, wo ein in Harvard oder Cambridge erworbener Titel sehr viel mehr zählt als der Abschluß des gleichen Studiums an irgendeiner Provinzuniversität.
Auch in einem anderen Punkt möchte Rüttgers das deutsche Hochschulwesen dem angelsächsischen angleichen: Die alte Debatte um Kurzstudiengänge ersetzt er durch die Forderung nach Übernahme des international weit verbreiteten angelsächsischen Systems. Dort führen Studiengänge nach drei Jahren zum Bachelor, nach zwei weiteren zum Master's Degree. Der Vorstellung, auf diese Weise mehr Studierende schnell in den Beruf führen zu können, steht allerdings bisher eine ganz andere Einstellungspraxis der Wirtschaft gegenüber: Schon für eine Stelle als Pharmareferent wird von vielen Firmen nicht nur ein Diplom, sondern auch die Promotion erwartet. Das macht sich auf der Visitenkarte einfach besser.
Selbst wenn es gelänge, was die bisherigen Bestimmungen zu Regelstudienzeiten nicht vermochten, die Durchlaufgeschwindigkeit der Studierenden zu erhöhen, bleibt die Frage offen: Welche Chancen verbleiben den Absolventen am unteren Ende einer solch ausdifferenzierten Skala? Führt zukünftig ein dreijähriger Studiengang an einer weniger renommierten Hochschule tatsächlich zu einem früheren Eintritt in die Berufspraxis? Oder ermöglicht ein solches System nicht doch nur eine leistungsbezogene Verteilung der Arbeitslosigkeit?
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