: Geschichten vom Süden
■ Der neue Atlantik-Verlag: Zwei Bremer Verleger wollen unbekannten Völkern und Minderheiten eine Stimme geben
In der ehemaligen Hauswirtschaftsschule an der Elsflether Straße im Bremer Westen residiert seit einigen Monaten ein neuer Mieter. „Atlantik Verlags- und Mediengesellschaft“steht da auf dem Türschild, und wenn man sich umdreht, kann man fast den Hafen sehen. Vom Hafen zum Meer zu anderen Ländern, das sind große Sprünge. Und genau die wollen die beiden Inhaber von Atlantik wagen.
„Wir suchen thematische Bezüge zu den Kontinenten, die an den Atlantik grenzen“, sagt Reinhard Seekamp, und sein Compagnon Jürgen Heiser pflichtet ihm bei. Statt auf Entertainment setzen die beiden Jungverleger auf die Herausgabe kultureller Dokumente und vor allem politischer Literatur. Das von ihnen vertretene Programm ist eindeutig, fast parteilich: Atlantik berücksichtigt bei den Veröffentlichungen die sonst in den Medien kaum wahrgenommenen Minderheiten und Völker. Verlegt werden zum einen bereits veröffentlichte Bücher – häufig solche, die in ihren Ursprungsländern zwar nicht zensiert, aber in der Auflage kleingehalten wurden. Zum anderen publizieren sie gesellschaftspolitische Schriften afrikanischer AutorInnen.
Es gebe mittlerweile sehr viele Menschen, die hier im Exil leben und versuchen, das Exil durch Schreiben zu bewältigen. All diese Auseinandersetzungen wollen Heiser und Seekamp ins Verlagsprogramm aufnehmen. Sie wollen die atlantische Geschichte neu erzählen und sozusagen aus südlicher Perspektive aufrollen. „Wir können das Bild nicht geraderücken, aber wir können Fehlendes hinzufügen“, meint Seekamp.
Die gegenwärtige Verlagslandschaft in Bremen hat überwiegend Bremensien im Handel. „Auch wir wollen uns auf Bremen beziehen, in Zukunft veröffentlichen wir „Afro-Bremensien", erklärt Heiser. Den Begriff habe ein befreundeter Afrikaner geprägt, und zwar für einen im April erscheinenden Ratgeber.
Die Verlagsarbeit soll dem NGO-Netzwerk dienen: Migranten, hier im Exil, publizieren kleinere Blätter und Zeitschriften – Atlantik faßt zusammen. Kurz vor dem Erscheinen steht Jan Carews Ghosts in our Blood. Mit Malcom X in Afrika, England und der Karibik., außerdem die dritte Auflage der schon seit Monaten vergriffenen Autobiographie von Assata Shakur, beides noch von Agipa-Press begonnene Buchprojekte. Bereits im Kopf, aber noch nicht schwarz auf weiß ist die „Aktuelle Reihe“, mit der Heiser und Seekamp auf aktuelle Ereignisse reagieren und dementsprechend schnell produzierte, preiswerte Bücher herausgeben wollen.
Doch vor den neuen Ideen steht eine Abwicklung: Die von Jürgen Heiser betreute Agipa-Press löst sich auf, fließt aber mit ihrem Bestand in den Atlantik Verlag ein. Die noch lieferbaren Titel werden weiter vertrieben und zum Teil als Neuauflagen ins Atlantik-Programm übernommen. Heiser: „Unsere Projekte lassen sich bis jetzt noch überschaubar kalkulieren, wir werden den Verlag nicht vorzeitig aufblähen.“
Da ist die Furcht, daß dann schon kleine Schwankungen beim Umsatz das Geschäft zusammenbrechen lassen. Seekamp, früher Anwaltsgehilfe, steuert juristische Vorsicht bei, so daß die täglich neuen geschäftlichen Verträge verläßlich abgeschlossen werden. Atlantik ist Mitglied bei „aLiVe, der Assoziation linker Verlage“. Gemeinsam wird eine Titelliste herausgegeben, gemeinsam stehen die Verlage auf der Frankfurter Buchmesse und präsentieren ihr Angebot.
Heiser und Seekamp werden sich ab Herbst, also spätestens zur nächsten Messe, einer weiteren Kooperative anschließen, die von Stuttgart aus die Verlagsauslieferung übernimmt, damit das Atlantik-Programm im gesamten deutschsprachigen Raum über den Großbuchhandelsversand bestellbar ist.
Denn immer häufiger sind Buchhandlungen nicht mehr bereit, Bücher in die Regale zu stellen, die sich angeblich nur minimal verkaufen lassen. Gegen den mächtigen Handel sind gebündelte Verlagsauslieferungen für kleine Verlage wichtig. Heiser: „Wir haben selbstverständlich auch Händler angesprochen, die sich dann bewußt dafür entschieden haben, unsere Bücher anzubieten.“Sechs Monate nach der Gründung ist es für die Atlantiker Zeit, die Prospektschlagzeile neu zu schreiben. Noch heißt sie „Atlantik – ein Verlag in Gründung“. Doch schon bald könnte sie lauten: Ein Verlag schlägt Wellen.
Katrin Patzak
Atlantik Verlag, Elsflether Str. 29, 28219 Bremen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen