: Allerlei Nettes und andere Überraschungen
■ Eine nächtliche Suche nach Charles Bukowski in der „Hauptstadt der Ostgoten“
Am Anfang einer Charles-Bukowski-Nacht steht natürlich ein großes Pils, und es steht auf dem Tresen der Prenzlberger Kellerkneipe Bukowski. Visionen von einer Welt des Saufen-Vögeln-Kotzen-Scheißens, von der Welt des white trash, kommen wie von selbst dazu, das wird eine üble Nacht, so viel steht fest. Denkste. Das Bukowski sieht keineswegs aus wie eine Spelunke für Rinnsteinpoeten, auch nach dem ersten Bier nicht. Vielmehr handelt es sich um ein Literatencafé, eine ruhige, gemütliche, saubere Kneipe, in der man problemlos Konfirmation feiern könnte.
Von der Schmuddelwelt erzählen hier nur die riesigen Bukowski- Poster, am schönsten eines, das ihn besonders verwahrlost zeigt, im Arm eine seiner Schlampen. Leichter Frust über so viel unerwartet bürgerliches Ambiente bleibt nicht aus, zumal sich auch die Charles-Bukowski-Gesellschaft nicht wie angekündigt an ihrem Stammtisch einfindet. „Das liegt wohl daran, daß der Vorsitzende Falko Henning für zwei Monate auf Studienreise in Hongkong ist, er studiert die chinesische Sprache“, erzählt die fürsorgliche Wirtin Ines Auer, von der man auch erfährt, daß die Kneipe Bukowski heißt, weil das der einzige Dichter war, den alle an den Bauarbeiten zur Kneipe beteiligten Freunde kannten.
Wahr jedoch bleibt, daß sich der Anrufbeantworter von Peter, dem Kassenwart der Gesellschaft, vielversprechend finster und verwegen anhört. Hier sei die Nummer soundso, „in Berlin, die (!) Hauptstadt der Ostgoten“. Und jetzt, im Bukowski, legt Ines Auer ein Heft auf den Tresen – die Bukowski- Gesellschaft hat doch tatsächlich eine Satzung und gibt auch ein in Germanistenmanier aufbereitetes Mitteilungsheft heraus! Man will „dem Autor und seinem Werk einen angemessenen Platz in der Literaturgeschichte verschaffen“.
Beim Verlassen der Kneipe fällt der Blick auf das winzige Foto von Falko Henning am Grabe Bukowskis. Ein netter Junge, der da ein „Center for Bukowski Studies“ gegründet hat und sich ganz der „Erforschung des Lebens, Werks und Wirkens“ jenes US-amerikanischen Dichters verschreibt, der 1994 im Alter von 73 Jahren verstarb und dem die Welt Kurzgeschichten über Hämorrhoidensalbe und Lyrik über Arschgrapschen verdankt.
Vielleicht waren zwei Biere einfach zuwenig, denkt man in der S-Bahn nach Treptow, auf dem Weg zur szenischen Lesung anläßlich Bukowskis Todestages in der Arena. Dort aber wird alles ganz anders: Schon am Tor nimmt einen ein angemessen finsterer Langhaariger in Empfang, um den Weg ins Dach (neuer Veranstaltungsort!) zu weisen, und die Lesung wird auch allen Klischee-Erwartungen gerecht. In beschmaddertem Unterhemd lümmelt Dietmar Jank an einem Tisch und liest 23 Gedichte und zwei Kurzgeschichten vor. Wenn er nicht gerade pissen geht.
Im kurzen Roten sitzt Susan Klaffer auf einem Barhocker daneben, stopft Schokoküsse in sich rein, stellt gelegentlich einen Kassetenrekorder an („Spiel mir das Lied vom Tod“) und spricht die Schlampenparts aus Bukowskis Texten. Endlich wuchern hier unterm Dach die Blumen des Bösen in der Regenrinne! Sozusagen. Und wenn Klaffer beim Telefonsex dem Anrufer gelangweilt Fellatio verpaßt, dann hat das gar Courtney-Love-Qualitäten.
Da stört sich keiner mehr daran, daß Bukowskis Todestag eigentlich schon vor einer Woche war. Die 17 Bukowski-Jünger und -Jüngerinnen sind's zufrieden. Und während man in der S-Bahn nach Hause zuckelt, findet man es nach dem sechsten Bier ziemlich lustig, daß Klaffer und Jank eigentlich Kindertheater machen und man selbst am Stadtrand wohnt. Imaginär hat man die „Messerklingen“ ja doch noch „in den Eingeweiden“ gespürt, und darauf kommt es an. Ania Mauruschat
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