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Bis der Monsun sie fortspült

10.000 Bauern und Fischer zelten seit sieben Wochen vor dem thailändischen Regierungssitz, um über bessere Lebensverhältnisse zu verhandeln  ■ Aus Bangkok Jutta Lietsch

Busadee Saenaua blickt mit leichtem Abscheu auf die schockrosa und grünen Plastikhalme in ihrer Hand – aber sie faltet weiter und bastelt Blumen, Girlanden, Gehänge. Das ist besser, als untätig auf der Matte zu hocken und zu grübeln, während die Tage verstreichen. Unter allen Dächern des Camps vor dem Regierungsgebäude in Bangkok hängt solcher Schmuck – neben frisch gewaschenen Sarongs, Hemden und zusammengebundenen Moskitonetzen. Seit sieben Wochen sitzt die 56jährige Bäuerin Busadee hier auf der Straße, inmitten der „Versammlung der Armen“ von Thailand, dicht an dicht mit über 10.000 Frauen, Männern, Kindern, und wartet.

„Die Leute müssen sich beschäftigen, sonst halten sie es nicht aus“, sagt Vattana Narkpradit, eine Aktivistin aus dem Osten des Landes. Aus allen Ecken Thailands waren sie im Januar in die Hauptstadt gekommen, um die neue – mit den Stimmen der ärmsten Bauern gewählten – Regierung an ihre Versprechen zu erinnern: Entschädigung für enteignetes Land und verseuchte Gewässer, Schutz vor den Bulldozern in den Slums, Hilfe gegen Entlassungen in der Industrie. Ihre Sprecher legten den Politikern eine Liste von 123 Forderungen vor und schworen, Bangkok nicht eher zu verlassen, bevor alle ihr Recht bekommen haben.

Seitdem findet am Prem-Prachakon-Kanal ein stiller und zermürbender Kampf statt: Auf der einen Seite drängen über 40 Bauerninitiativen, Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen auf Zusagen. Auf der anderen Seite versuchen die Politiker, die Verhandlungen solange wie möglich hinauszuziehen. Bislang haben sie erst über knapp ein Viertel der Beschwerden gesprochen. „Für unsere Forderungen hat die Regierung noch keine Zeit gefunden“, sagt Busadees 54jähriger Ehemann Rapin. Sie sind mit zehn Familien aus dem Dorf Sounsaeng nach Bangkok gekommen, weil sie Entschädigung für ihr Land wollen, das sie an den Sirindhorn-Staudamm verloren haben.

„Wir konnten von unserem Land leben, pflanzten Reis und hatten viele Mangobäume“, erinnert sich Busadee. „Wir hatten 100 Rai (16 Hektar), aber sie haben uns nur 15 Rai Ersatzland gegeben, neun davon steiniger Boden.“ Das war vor über 20 Jahren. Der Damm ist gebaut, das Land versunken – doch über 2.500 Familien haben keine Entschädigung erhalten. „Befehl von oben“, sagten die Beamten von der Provinzregierung, als sich der junge Familienvater Rapin beschwerte. Appelle an die Abgeordneten in seinem Wahlkreis nutzten nichts – mit dem Schutz der Bauern läßt sich in Thailand wenig verdienen. Bei Bauprojekten fällt hingegen etwas für die Politiker ab. „Alle Politiker sind korrupt und lügen“, sagt Rapin. Vor fünf Jahren hörte er von einer Bauerninitiative in seinem Bezirk. Es war eine jener vielen regierungsunabhängigen Organisationen, die in Thailand seit den siebziger Jahren entstanden sind. Damals hatte die Militärdiktatur alle sozial engagierten und kritischen Leute aus der offiziellen Politik vertrieben.

Das hat sich bis heute kaum verändert. Zwar sitzen in Bangkok seit 1993 wieder demokratisch gewählte Politiker, doch die Parteien sind nichts weiter als Seilschaften zur Verteilung lukrativer Posten.

Im Januar kam die „Versammlung der Armen“ nach Bangkok. Mehrere Demonstranten starben seitdem an Erschöpfung und Krankheiten. Zwei junge Frauen erlitten Fehlgeburten. Ein alter Mann warf sich vor einen Zug, ein verzweifelter Bauer kündigt fast täglich seinen Selbstmord an. Manche der Matten sind tagsüber leer – immer mehr Männer suchen sich Arbeit auf einer der Baustellen in der Stadt. Wer bleibt, flieht in den Schlaf oder knüpft sich einen Vorrat an Netzen.

Aus dem provisorischen Camp der 10.000 ist eine funktionierende Zeltstadt geworden. Die Stadtverwaltung hat stabile Zeltdächer, Toilettenwagen, Wassertanks und Müllfahrzeuge bereitgestellt. Städtische Krankenhäuser schicken ÄrztInnen und Schwestern zu zwei mobilen Krankenstationen im Lager. Die DemonstrantInnen dürfen umsonst in den angrenzenden Tempelpark und den nahen Zoo. Frauengruppen organisieren Kindergarten und Schulunterricht im Tempel. Nachmittags kommen GewerkschafterInnen oder AnwältInnen und halten Vorträge über Arbeitsrecht, SoziologieprofessorInnen unterrichten auf der Straße.

Busadee lächelt müde, als eine Gruppe von StudentInnen an ihrer Matte vorbeimarschiert und aufmunternde Parolen skandiert. „Ich will nach Hause“, sagt sie leise. Sie hat Bangkok satt, die schlechte Luft, das schmutzige Wasser, das Nichtstun, die Menschen. Es wird täglich heißer und schwüler, tagsüber steigt die Temperatur auf über 36 Grad, im April werden die heftigen Monsunregen auf die Zeltstadt prasseln. Darauf zählt die Regierung.

Angestrengt suchen die Organisatoren des Protests die Verhandlungen zu beschleunigen. Erst als Bangkoker Akademiker, Anwälte und Sozialarbeiter die Regierung kritisierten, kündigte Premierminister Chavalith Yongchaiyudh an, er werde persönlich mit den Untertanen vor seiner Tür sprechen. Zum angekündigten Termin aber ließ er sich entschuldigen: „Keine Zeit.“

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