: Lust auf freigeistige Partys
Die Jugendweihe erlebt in Ost und West eine Renaissance, weil das Image vom Treuegelöbnis auf den Staat schwindet. Alternative zu Kirchen ■ Von Kathi Seefeld
Die einen gehen zur „Feier“ und feiern danach, die anderen nennen es „Weihe“ und feiern dann ebenfalls. Über 10.000 Jungen und Mädchen – wieder einige hundert mehr als im Vorjahr – tun in diesem Frühling mit der Jugendweihe den offiziellen Schritt ins Erwachsenenleben. Ob den Rahmen dafür die aus dem Westteil stammenden Freidenker liefern, die sich in Abgrenzung zu den DDR- Freidenkern seit 1993 „Humanistischer Verband“ nennen, oder die „Interessenvereinigung für humanistische Jugendarbeit und Jugendweihe“, ist für die Jugendlichen kaum von Belang. Die Interessenvereinigung als Anbieterin der „Weihe“ ist als Nachfolgerin des Zentralen Jugendweiheausschusses der DDR nur besser organisiert – und erreicht in der Stadt mehr Haushalte als die Konkurrenz vom Humanistischen Verband.
Der konnte dennoch mehr als 2.000 Erwachsenen-Anwärter und ihre Eltern für sich gewinnen. „Die Familien möchten einfach wieder eine öffentliche Veranstaltung haben“, erklärt Kristin Fussan- Freese vom Humanistischen Verband. „Wir bieten dazu in attraktiven Häusern der Stadt ein anspruchsvolles Programm.“ Die Freidenker haben ein Musical auf die Beine gestellt, bei dem die 13- und 14jährigen auf den Bühnen des Schauspielhauses oder des Friedrichstadtpalastes stehen werden, ohne allerdings selbst singen zu müssen. Zur Sprache kommen in dem Stück Themen und Probleme der Jugendlichen: Generationskonflikte, Umgang mit Andersdenkenden, Visionen für die Zukunft. Auftakt ist am Samstag im Schauspielhaus.
In kleinerem Rahmen, dafür mit Unterstützung einer Schar prominenter FestrednerInnen, werden die 1.148 „Jugendweihen“ der konkurrierenden Interessenvereinigung zwischen dem 12. April und dem 17. Mai über die Bühne gehen. Neben dem Bundestagsabgeordneten Thomas Krüger (SPD) haben Bürgermeisterin Christine Bergmann (SPD), Gregor Gysi (PDS), Rainer Ortleb (FDP) und Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU) ihre Teilnahme zugesagt. Letzterer fing sich für seinen Auftritt in Friedrichshain scharfe Kritik aus den Reihen der eigenen Partei ein. Er begebe sich auf „atheistische Abwege“ und unterstütze den Atheismus, der durch Zwangsentchristlichung in der DDR entstand, hieß es. Pieroth hielt dagegen, daß die Union bei der Jugendweihe nicht der PDS das Feld überlassen dürfe.
Der Humanistische Verband und die Interessenvereinigung sind sich einig: Eine Erfindung und ein Relikt der DDR war bzw. ist die Jugendweihe nicht. „Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts“, so die Interessenvereinigung, „suchten freireligiöse Gemeinden und freidenkerische Verbände nach Alternativen zum starren offiziellen Religionsunterricht und nach eigenen festlichen Schulabschlußfeiern.“ Eduard Baltzer, ein Thüringer aus Nordhausen, prägte 1852 erstmals den Begriff „Jugendweihe“. 1889/90 wurde das „Konfirmationsfest“ freireligiöser Gemeinden innerhalb der Arbeiterbewegung umgedeutet. Die Feier wurde Ausdruck für die „Aufnahme der jungen Menschen in die große Gemeinschaft der sozialistischen Arbeiterbewegung“.
In Berlin fand die erste große Veranstaltung für 37 Jugendliche und 1.500 Besucher am 14. April 1889 im Großen Saal des Konzerthauses in der Leipziger Straße statt. Bis zum Ersten Weltkrieg gab es Jugendweiheveranstaltungen auch in Hamburg und anderen großen Städten, vor allem aber im Thüringer Raum. Zehntausende Jugendliche in ganz Deutschland waren es zu Zeiten der Weimarer Republik. Mit der Nazidiktatur kam auch für die Jugendweihen das Verbot.
Der Versuch, sie nach dem Sieg über den Faschismus als humanistische Tradition in ganz Deutschland wiederzubeleben, verkam später in der DDR zu einem Ritual mit Treuegelübde auf Staat und Sozialistische Einheitspartei. Das schmälerte die gute Laune der „Jugendweihlinge“ allerdings selten. Sie freuten sich über die Party danach, Geschenke oder auch eine Reise, mit der die Erwachsenenwelt sie begrüßte.
Im Westen war die „Teilnehmerzahl eher unbedeutend“, meint Norbert Kunz, Pressesprecher des Verbandes, obwohl die Freigeister hier anders als in der DDR ihre Feiern in die Tradition der europäischen Aufklärung, des Liberalismus und der deutschen Arbeiterbewegung stellten. Die Angebote der beiden großen Kirchen besaßen in einer von christlichen Werten dominierten Gesellschaft einfach größere Akzeptanz. Wer nicht zur Konfirmation ging, galt als Außenseiter. „Erst seit der Wende kommen mehr nichtkonfessionsgebundene Jugendliche aus dem Westteil der Stadt zu uns. Ihr Anteil liegt in diesem Jahr bei fast 20 Prozent“, so Kunz.
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