: Hans Haacke und die Rüstungsindustrie
■ Douglas Crimps debattenfreudige Analyse des Funktionswandels unserer Museen
Die Fotos von Louise Lawler sind ihm fast wichtiger als der Text. Schon im Vorwort spielt Douglas Crimp gegenüber den Aufnahmen der New Yorker Fotografin die Bedeutung seiner Essaysammlung „Über die Ruinen des Museums“ herunter, die 1993 immerhin bei MIT-Press erschienen ist und jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt. Dabei ist Crimp jedoch nur konsequent, schließlich handeln die zehn Aufsätze von der Idee, daß die Bedeutung eines Kunstwerks erst im Wechsel mit institutionellen Rahmenbedingungen wächst.
Weil die These aber auch auf seine eigene Textproduktion zutreffen soll, eröffnet Crimp mit den Fotografien eine zweite Lektüre der eigenen Analyse – Lawlers Details aus Auktionshäusern, Kunstdepots und Sammlungsbeständen sind ein Rereading seiner Kritik am Museum. Sie beobachtet, was er denkt: Man liest vom „Ende der Skulptur“ und sieht dazu Aufnahmen frisch eingelagerter Marmorbüsten; ein andermal hängen auch kleine Lichtensteins, Rauschenbergs und Johns bei Christie's zur Versteigerung interesselos nebeneinander.
In solchen Arrangements spiegelt sich das Geschichtsbild einer frei flottierenden und verfügbaren Postmoderne wider, gegen dessen Beliebigkeit Crimp eine materialistische Analyse des Kunstbetriebs setzt. Wenn er etwa im Aufsatz „Die Ausstellungskunst“ über die Entwicklung der documenta 1982 zum internationalen Groß- ereignis schreibt, dann beginnt er hundert Jahre zuvor, beim Söldnerhandel des Landgrafen von Hessen-Kassel mit den Vereinigten Staaten, um den Bogen bis zu Hans Haackes Vor-Ort-Installation über Ronald Reagans Rüstungspolitik zu schlagen. Alles Material fügt sich für Crimp im Sammeln, Ordnen und Analysieren – und will letztlich wie ein Text gelesen werden, in dem Kunst der Aufklärung nützen soll.
Tatsächlich scheint sich der frühere Mitherausgeber der linken Theoriezeitschrift October für die Rezeption von Kunst vorwiegend auf Debattenebene zu interessieren. Bei den Stahlobjekten Richard Serras etwa orientiert er sich an lokalen Streitigkeiten um die Standortwahl.
Zugleich ist seine Methode, Kunst, Geschichte und cultural studies zu verknüpfen, sehr streng an Michel Foucaults Begriff der „Archäologie“ geschult: „Sie behauptet, daß die moderne Epistemologie der Kunst eine Funktion der Abgeschlossenheit von Kunst im Museum ist, wo diese dazu gebracht wurde, als autonom, verfremdet und ziemlich abgesondert aufzutreten, einzig auf ihre eigene innere Geschichte und Dynamik verweisend.“ Eine solche Struktur mag ursprünglich dem bürgerlichen Museum entsprochen haben, das Crimp zu Recht nicht mehr als Wunderkammer, sondern als Instanz der Selbstvergewisserung interpretiert.
Doch mit der Fotografie als eigenständigem Medium wird diese Vorstellung bereits obsolet: Während das Foto zunächst noch der wissenschaftlichen Erforschung von Kunst dient, wird es in den vierziger Jahren, spätestens aber mit André Malraux' „imaginärem Museum“ selbst als Kunstwerk anerkannt. Dadurch jedoch gehen der Forschung Gegenstand und Grundlage verloren. Die Integration des Fotos als ein den anderen Kunstwerken ästhetisch gleichwertiges Objekt hebt seinen Dokumentcharakter auf. Statt auf das Dargestellte wird jedes Augenmerk auf den Fotografen gelenkt, „urbane Armut wird zu Jacob Riis und Lewis Hine, [...] Diors neue Linie wird Irving Penn, und der II. Weltkrieg wird Robert Capa“. Mit der Aufwertung der Fotografie, der Crimp wegen des Verlusts an Objektivation mißtraut, geht aber eine komplette Neuorientierung der Pop-art einher, die ihm wiederum sehr sympathisch ist.
Indem Rauschenberg neue Medien einbezieht, holt er gesellschaftliche Realitäten zurück in die Malerei. Das gleiche Prinzip gilt in der Folge für Sherrie Levines kopierte Edward-Weston-Fotografien, die sich gegen den Kult der Kenner- und Autorenschaft richten: Kunst ist stets Suche nach sozial kommunizierbaren Äquivalenten, die doch immer und vor allem immer schneller vom Museum vereinnahmt werden. Douglas Crimp, dessen hier zusammengeführte Aufsätze anfang der achtziger Jahre entstanden sind, zog daraus die Konsequenz, angesichts der Aidskrise zur Act-up-Bewegung zu gehen. Von der Kunst erwartet er sich ohnehin nur mehr ein lang hinausgezögertes Ende. Harald Fricke
Douglas Crimp: „Über die Ruinen des Museums“ (mit einem fotografischen Essay von Louise Lawler). Verlag der Kunst, 384 S.,78 DM
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