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■ QuerspalteHeraus zum 1. Mai!

Die meisten Parteiführer der britischen Konservativen waren blaublütiger, großbürgerlicher oder zumindest geldadeliger Herkunft. Dann ging es bergab. Margaret Thatcher war noch kleinbürgerlich, Premierminister John Major ist ein Londoner Arbeiterkind. Zwar gebührt ihm ein gewisser Respekt für seinen gesellschaftlichen Aufstieg, doch dabei hat er nicht nur seine Klasse verraten, wie schon sein Parteibuch zeigt. Major hat offenbar auch seine Herkunft völlig vergessen. Zumindest scheint dem Premier jegliches proletarisches Bewußtsein zu fehlen. Wie sonst ist es zu erklären, daß Major für den 1. Mai Wahlen angekündigt hat? Wie bitte? Ausgerechnet am Tag der Arbeit, der in Großbritannien labour day heißt, will John Major die Labour Party besiegen?

Vielleicht ist dem Premier die Ironie des Wahltermins gar nicht aufgefallen. Denn der Tag der Arbeit ist in Großbritannien, dem Geburtsland des Manchester-Kapitalismus, gar kein Feiertag. Bei uns erinnern sich die Leute ja noch wenigstens daran, daß da mal was war, wenn sie sich freuen, daß sie am 1. Mai ausschlafen können. Als die Eiserne Lady noch in der Downing Street residierte, hätte man hinter einem solchen Wahltermin ja auch noch einen perfiden Plan zur Zerschlagung der verhaßten Gewerkschaften vermuten können. Aber dem farblosen John Major traut dies einfach niemand zu. Mal ganz abgesehen davon, daß auch von den Gewerkschaften nicht mehr soviel übrig ist.

Die Umfragen bescheinigen den Tories mehr oder weniger konstant 25 Prozentpunkte Rückstand auf die Labour Party. So sieht es am 1. Mai für Tony Blairs New Labour nach einem major victory aus. Dabei muß die britische Arbeiterbewegung John Major eigentlich für den Wahltermin sehr dankbar sein. Denn dies ermöglicht es den Gewerkschaften, längst aus der Mode gekommene Parolen wieder mit Leben und Sinn zu füllen. Wenn es demnächst wieder heißt „Heraus zum 1. Mai!“, dann kann damit eigentlich nur John Major gemeint sein. Sven Hansen

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