: Es geht nur um eines – ums System
Biedenkopf verteidigte auf dem CDU-Parteitag kühl sein Rentenmodell, Blüm versuchte sich als Retter der Rentner, und Bundeskanzler Kohl wollte vor allem freundlich sein – zur Rente von ihm kein Wort ■ Aus Bonn Bettina Gaus
In einem Punkt waren sich Norbert Blüm und Kurt Biedenkopf gestern einig: Die Entscheidung über die Rentenmodelle der beiden Politiker sei eine Grundsatzfrage. „Die Alternative, über die Sie heute entscheiden, ist die Alternative: Weiterentwicklung unseres Systems oder Systemveränderung“, sagte der Arbeitsminister, an die Delegierten des Kleinen Parteitags der CDU in Bonn gewandt. Das sahen seine Zuhörer offenbar genauso. Obwohl der Bundesvorstand der Partei sich bereits auf das Modell von Blüm festgelegt hatte, das wie bisher eine lohn- und beitragsfinanzierte Rente vorsieht, prallten die unterschiedlichen Meinungen hart aufeinander.
Kurt Biedenkopf stellte sein Konzept einer steuerfinanzierten Bürgerrente kühl und zugleich kämpferisch vor. Hier schien ein Politiker zu sprechen, der im vollen Bewußtsein seiner bevorstehenden Niederlage alles ihm wesentlich Erscheinende wenigstens einmal gesagt haben wollte. „Wir diskutieren doch nicht über die Rentner von heute. Wir diskutieren über die Frage, ob meine Enkel bereit sind, die Renten meiner Kinder zu finanzieren“, sagte der sächsische Ministerpräsident. 1993/94 sei ihm vorgeworfen worden, in „unverantwortlicher Weise“ Millionen von Menschen zu verunsichern, als er gesagt habe, die Renten der damals 40jährigen seien nicht mehr sicher. Prognosen für die Zeit in 30 Jahren seien für ihn „keine verläßliche Basis der Beurteilung“.
Biedenkopf wählte eine Tonlage, die in der CDU selten ist: „In Wirklichkeit werden wir aufgefordert, nur einen einzigen Antrag zu stellen: Wir reformieren im bestehenden System. Dazu soll heute eine Festlegung erfolgen. Ich halte diese Festlegung für inhaltlich falsch.“ Das, was jetzt beschlossen werden solle, sei keine grundlegende Reform.
Genau das Gegenteil hatte Helmut Kohl in seiner programmatischen Rede gesagt. Da war vom „Weg der Reformen“ die Rede gewesen, auf dem „eine Menge vorangebracht“ worden sei, und von einem „wichtigen Zeitabschnitt in der Geschichte unseres Landes“. Der Bundeskanzler bemühte sich um gute Stimmung bei den Delegierten. Ausführlich gratulierte er den Parteifreunden in Wiesbaden zum Sieg bei der Wahl des Oberbürgermeisters. Das sei ein „symbolisches Ergebnis“ und ein „wichtiges Indiz für unsere Parteiarbeit“. Kurze Pause. Aber es kam kein Applaus.
Helmut Kohl erntete auch kein wohlwollendes Gelächter, als er ironisch und ungewöhnlich offenherzig von eigenen Frustrationen berichtete: „Ich höre eigentlich von morgens bis abends nur die Stimme: Das haben wir nie so gemacht, das kann doch nicht funktionieren. Warum fangen wir's dann überhaupt an?“
Der Funke sprang nicht über. Ungewohnt defensiv wirkte der Kanzler, als er davon sprach, daß Deutschland für die Wirtschaft wieder attraktiver geworden sei. In den alten Bundesländern gebe es zwei Millionen mehr Arbeitsplätze als zu Beginn der 90er Jahre. Zum Thema Rente, für das sich Kohl nie sonderlich interessiert und zu dem er sich seit Wochen praktisch nicht geäußert hat, sagte der Bundeskanzler auch gestern inhaltlich fast nichts. Seine Unterstützung für das Modell von Norbert Blüm brachte er vor allem dadurch zum Ausdruck, daß er dem Arbeitsminister für dessen Arbeit dankte – und vielleicht auch dadurch, daß er fast unmittelbar nach Beginn von Biedenkopfs Rede den Saal verließ, um erst kurz vor deren Ende wiederzukommen.
Wirkte der Kanzler seltsam gedämpft, fast gelangweilt, so zeigten sich die Delegierten um so bereiter zur offenen Diskussion. „Außerordentlich belebend“ finde er die Debatte, stellte Arnold Vaatz beinahe staunend fest. Tatsächlich wurde erstmals seit langer Zeit eine inhaltliche Kontroverse in der CDU so direkt ausgetragen, wie das in anderen Parteien die Regel ist.
Regina Görner, die auch im Bundesvorstand des DGB sitzt, warf Biedenkopf vor, sein Modell bedeute eine Doppelbelastung der Arbeitnehmer. Die müßten nicht nur die von Biedenkopf so bezeichnete „Fürsorgeleistung“, sondern auch noch die eigene private „Vorsorgeleistung“ erbringen. Der Sozialpolitiker Ulf Fink erklärte bündig: „Es bedarf keines Systemwechsels.“
Das sah Klaus Escher von der Jungen Union ganz anders: „Denen, die zwischen 1980 und 1965 geboren sind, ist die Frage, ob wir im System bleiben, völlig egal.“ Ihnen gehe es um die Frage, ob sie eine klare Perspektive hätten. „Und die haben wir nach der heutigen Beschlußvorlage nicht.“
Viele Fragen zum Thema Rente bleiben offen, meinten übereinstimmend Delegierte beider Lager. Biedenkopf appellierte fast beschwörend an die Versammlung, das Thema weiter zu diskutieren und jetzt noch nichts zu entscheiden. Der Politiker brachte dazu einen entsprechenden Antrag ein. Er wurde abgelehnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen