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Neugierige Nasen

Eine artgerechte Aufstiegshilfe für Elbfische soll die alte Treppe in Geesthacht ersetzen  ■ Von Heike Haarhoff

Es ist, als habe die Nordsee persönlich einen kleinen Abstecher landeinwärts gemacht. Hier, am Wehr im schleswig-holsteinischen Geesthacht an der Unterelbe, diesem Brückenbauwerk mit den vielen Klappen, Betonpfeilern und steil abfallenden, künstlichen Kaskaden am Stromkilometer 585,9, hier an der Schnittstelle zwischen tidebeeinflußter und tidefreier Elbe tobt, braust und schäumt es wie auf hoher See.

Thomas Gaumert hangelt sich am Ufer entlang. Rechts das Wehr, das die Elbe quert, links der Elbhang. Ein bißchen Wiese, später glitschig-schwarze Steine. Und immer die Wellen, die fast lauter sind als seine Stimme. „Die Tidegrenze hat sich im Laufe der Jahre wegen der Fahrrinnenvertiefung immer weiter stromaufwärts verschoben.“Der Biologe von der Wassergütestelle Elbe zeigt auf das Wehr, das jetzt nur noch wenige Meter entfernt ist. Gäbe es diese künstliche Grenze, die den Wasserstand reguliert, nicht – die Flutwellen aus der Nordsee würden mittlerweile „ganz elegant“durch die begradigte und ausgebaggerte Elbe „bis nach Mecklenburg-Vorpommern laufen“.

Vor 37 Jahren konstruierten Ingenieure deshalb das „Querbauwerk“, wie das Wehr in der Fachsprache heißt. Fortan wurden jedoch nicht nur die Nordseeflutwellen wunschgemäß aufgehalten, sondern auch täglich Tausende von Fischen auf ihrer Wanderung stromauf- oder -abwärts behindert: Gegen die Wellen und die starke Brandung kamen Aale, Lachse und Stinte einfach nicht an und folglich am Wehr nicht vorbei. Biologen wie Thomas Gaumert rauften sich die Haare, denn „für Fische ist es lebensnotwendig, daß sie im Fließgewässer wandern können“.

Rund 80 Fischarten bevölkern die Elbe. Lachse, Stinte und Stichlinge beispielsweise leben in der Nordsee, kommen aber eigens zum Laichen im Frühjahr in den Fluß. Andere Fische wie Aale halten es genau andersherum, und Barben, Nasen und Zährten fordern freien Durchgang, weil sie mobil und neugierig sind und sich nicht sommers wie winters am gleichen Fleck aufhalten wollen. Elbfischer hingegen witterten bereits den wirtschaftlichen Ruin; spätestens hinter dem Wehr wäre keine Flunder mehr in ihr Netz gegangen.

Wie aber die Fische sicher am Wehr vorbei führen? Wie sie den Höhenunterschied unbeschadet überwinden lassen? Der Landweg, soviel galt als sicher, war ausgeschlossen. Aber die Idee einer Treppe fand man gar nicht so schlecht. „Für damalige Verhältnisse sehr fortschrittlich“, meint Thomas Gaumert, wurde schließlich Anfang der 60er Jahre ein schmaler, 160 Meter langer Kanal aus Holzbrettern am Südufer des Wehrs angelegt, die „Fischtreppe“.

Sie besteht aus 25 kleinen, teils moosbewachsenen Kammern, die untereinander mit Durchlässen verbunden sind und in gleichmäßigen Stufen von jeweils elf Zentimetern die insgesamt 2,75 Meter Höhendifferenz überbrücken. Die besondere Geometrie der Becken soll einen geradlinigen Strömungsverlauf erzeugen und den Fischen die Orientierung erleichtern. Zugleich gibt es in einzelnen Kammern aber auch strömungsärmere Zonen, sogenannte „Schonstrecken“.

Fische sind wie Hundert-Meter-Läufer. Mit ihrem „Sprintvermögen“, sagt Biologe Gaumert, meistern sie mühelos Strömungen und Steigungen bis zu einem gewissen Grad, pausieren anschließend aber auch ganz gern.

Jahrelang glaubte man, die Flossenträger auf diese Weise sicher auf die andere Seite des Wehrs zu leiten. 1986 kam sogar ein zweiter „Fischpaß“hinzu, ein offenes und mit groben Steinen ausgekleidetes Rinnsal ohne Treppenstufen, das besonders für stromaufwärts wandernde Aale geeignet schien.

Erst wissenschaftliche Erfolgskontrollen der hoch gelobten „Aufstiegshilfen“ließen die Biologen dann aufstöhnen: Eine „abenteuerlich hohe Zahl“von Fischen, grämt sich Gaumert, blieb über Jahre auf der Strecke. Nicht nur, daß die Fischtreppe im Laufe der Jahrzehnte marode und unansehnlich geworden war. „Viele Fische schafften erst gar nicht den Einstieg in die Treppe.“

Denn bei Ebbe hängt die erste Treppenstufe schlichtweg in der Luft. Bemängelt wurde auch, daß der Einstieg leider nicht dort liegt, wo sich Fische bevorzugt aufhalten, nämlich an der Stromkante, sondern in einer Bucht. Und auch der jüngere Fischpaß läßt zu wünschen übrig: Weder Gefälle noch Strömungsgeschwindigkeit sind konstant.

Dem Entsetzen folgten jahrelange Verhandlungen zwischen dem Bund und den Elb-Anlieger-Bundesländern sowie Gefeilsche um die Kosten. Ergebnis: Vermutlich noch in diesem Sommer – wenn die Hauptlaichzeit abgeschlossen ist – werden die beiden desolaten Bauwerke abgerissen und durch eine moderne, zweieinhalb Millionen Mark teure Aufstiegshilfe ersetzt. Diese soll wie ein kleiner Fluß funktionieren und wird mit acht bis zwölf Meter Breite, bis zu 1,20 Meter Tiefe und zwei integrierten Teichen als Ruhepunkt sehr viel großzügiger und artgerechter sein als die alte Treppe.

Während der dreimonatigen Bauzeit müssen sich Aal bis Zährte zwar vor beziehungsweise hinter dem Wehr vergnügen. Anschließend aber, freut sich Thomas Gaumert, „gewinnen wir 630 Kilometer Elbe Aufenthaltsraum hinzu“.

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