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Vom Wissen zum Wachstum

Die Bochumer Ruhr-Universität vermarktet ihre Forschungsergebnisse jetzt selbst  ■ Von Wiebke Rögener

Was schafft die Wissenschaft? Ist sie bestrebt zu erfahren, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, oder sind Wissenschaftler eher „erfinderische Zwerge, die man für alles mieten kann“? Oder beides oder je nachdem? Die moderne Forschungspolitik ist frei von solchen Zweifeln: Wissenschaft ist ein Standortfaktor. „Das Wachstum der Zukunft wird aus Wissen gemacht“, erklärte der Minister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Jürgen Rüttgers, zu Beginn dieses Jahres anläßlich der Vorlage des Berichts „Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“.

Die Zeichen der Zeit erkannt hat die Ruhr-Universität Bochum. Als zweite deutsche Hochschule, nach der TU Hamburg-Harburg, wird sie im Sommer 1997 ein Unternehmen zur professionellen Vermarktung ihrer Forschungsergebnisse gründen. Die Forschungs- und Verwertungsgesellschaft (F+V GmbH) will an den zwanzig Fakultäten der Ruhr-Uni wissenschaftliche Projekte aufspüren, deren industrielle Umsetzung gewinnversprechend erscheint. Ziel ist die Förderung von Entwicklungsarbeiten bis zur Produktreife. Verbindungen zu Unternehmen sollen hergestellt und auch die Gründung neuer Firmen unterstützt werden.

Vorausgegangen war vor mehr als zwanzig Jahren die Einrichtung einer Technologietransferstelle. Wie an vielen anderen Hochschulen sollte diese mit geringem Etat und meist ebensolchem Erfolg Kontakte zwischen Forschung und Industrie vermitteln. 1993 wurde dann aus der Transferstelle heraus die Umweltagentur GmbH gegründet. Formal eigenständig, jedoch an der Uni angesiedelt, fördert und vermarktet diese Beratungs- und Entwicklungsgesellschaft Projekte aus den Bereichen Abfallwirtschaft, Altlastensanierung und Umwelttechnik. „Durch den Erfolg dieses Unternehmens war in der Hochschule der Wunsch geweckt worden, das, was die Technologietransferstelle macht, professioneller und marktnäher zu betreiben und für die Hochschule eine F+V Gesellschaft zu gründen“, so der Physiker Karl Grosse, einer der Initiatoren des Projekts.

Obwohl ein solches Unterfangen gut in die forschungspolitische Landschaft paßt, hatte es mit erheblichen Startschwierigkeiten zu kämpfen. Grosse führt aus: „Seit 1993 hat die Uni versucht, die Idee bei der Landesregierung zu verankern. Denn wenn eine Hochschule sich als Gesellschafter an einer GmbH beteiligen will, bedarf das der Zustimmung des Finanzministers. Diese war damals nicht zu erhalten.“ Nach Einschätzung Grosses befürchtete die Landesregierung vor allem die Ausdehnung des öffentlichen Dienstrechts auf eine solche Gesellschaft und damit die Übernahme entsprechender Verpflichtungen für das Land. Doch die Hochschule ist ein Zwitterwesen: Sie agiert nicht nur als staatliche Einrichtung und damit abhängig von der Landesregierung, sondern auch als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Als solche kann und wird sie sich nun, unabhängig vom Veto aus Düsseldorf, an der F+V GmbH beteiligen. Weitere Gesellschafter sollen sein: die Sparkasse Bochum, das Technologiezentrum Ruhr und ein kleineres Unternehmen, das schon an der Umweltagentur beteiligt war. Auch der größere Teil der bisherigen Transferstelle wird in der neuen GmbH aufgehen.

Die Verbindung von Hochschulforschung mit wirtschaftlichen Interessen ist an sich nicht neu. Doch bisher hatten die Universitäten wenig davon, daß Forschungsergebnisse gelegentlich zu einträglichen Patenten führten. Denn wenn Professoren oder Dozenten etwas erfinden, gilt das Hochschullehrerprivileg: Anders als bei anderen Arbeitnehmern gehen die Rechte an der Erfindung nicht auf den Arbeitgeber über. Hochschullehrer gelten als „freie Erfinder“, sie können selbst Patente anmelden, und die Erlöse stehen ihnen allein zu. „Das Hochschullehrerprivileg eröffnet damit zum Nulltarif einen Freiraum für wirtschaftliche Betätigung und unternehmerische Initiative“, preist das Forschungsministerium diese Zustände. Doch werde dieser Vorteil kaum genutzt, es kämen zu wenige Patente aus den Hochschulen, heißt es aber gleich darauf.

Günter Wulff, Professor für Chemie an der Universität Düsseldorf und Inhaber mehrerer Patente, hält solche Vorwürfe für völlig haltlos: „Woher wollen die das eigentlich wissen“, fragt er. Recherchen bei den Patentämtern seien da nämlich wenig aussagekräftig. Weder Wissenschaftler noch Hochschulen wollen in der Regel etwa 50.000 Mark für eine weltweite Patentanmeldung investieren. Möglicherweise lukrative Forschungsergebnisse werden daher meist einer Firma angeboten, die das Patent anmeldet und die Rechte an der Verwertung erwirbt. In den Unterlagen wird das Hochschulinstitut, aus dem die Arbeit hervorging, nicht genannt. „Ich behaupte, in 90 Prozent aller Fälle wird so verfahren. Das heißt, es kann kein Mensch wissen, wieviel Patente die Hochschule wirklich hervorbringt“, so Wulff. Nur bei Patenten aus Forschungsarbeiten anderer aus dem Hochschuletat bezahlter Mitarbeiter muß die Universität am Verfahren – und gegebenenfalls auch an den Einnahmen aus Lizenzgebühren – beteiligt werden.

Auch Karl Grosse hält das Jammern der Politiker über zuwenig praxisnahe Wissenschaft für übertrieben: „Das sehe ich eigentlich nicht so. Viele Professoren denken von vornherein anwendungsbezogen. Es gibt eine Menge gewerblich nutzbarer Forschungsergebnisse. Doch oft ist dann irgendwann das Projekt zu Ende, der Mitarbeiter ist weg, und manches bleibt halbfertig liegen.“ Hier sieht er die Aufgabe der F+V GmbH: Sie kann an der Entwicklung eines Produktes bis zur Marktreife dranbleiben. Von den möglichen Gewinnen soll auch die Universität, die ja immerhin die Ressourcen für solche Forschung zur Verfügung stellt, einen Anteil erhalten.

Es sei darüber nachzudenken, ob zukünftig nicht die Universitäten selbst als Patentanmelder auftreten sollten, äußerte die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Anke Brunn am Rande einer Tagung in Köln Mitte März. Das Hochschullehrerprivileg sollte damit auch gleich zur Diskussion gestellt werden.

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