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Nicht Partner, sondern Gegner

Frankreichs Regierung pfeift aufs Schengener Abkommen. Offene Grenzen sind ihr wegen „illegaler Immigration“ und Drogenhandel suspekt  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die Idee von François Mitterrand und Helmut Kohl funktioniert nicht: Offene Grenzen für Europas Bürger sind den citoyens suspekt – erst recht, wenn sie in den Fußstapfen des großen Generals de Gaulle herumlaufen und eine sehr weitgehende Interpretation von „nationaler Souveränität“ pflegen. Der Neogaullist Jacques Chirac ist so einer. Schon in seinem Präsidentschaftswahlkampf hatte er angekündigt, daß er das Schengener Abkommen neu verhandeln werde, wenn sich herausstelle, daß es „nicht funktioniert“.

Seit Mai 1995 ist Chirac gewählter Nachfolger von Mitterrand. Seit demselben Frühjahr ist auch das Schengener Abkommen in Kraft. Im Prinzip. Denn Initiator Frankreich war zu dem Zeitpunkt schon Hauptbremser der Zusammenarbeit geworden. Zunächst hatte es an dem zentralen Rechner in Straßburg gelegen, der Schengen-eigenen SIS-Fahndungskartei, in die Millionen von europäischen Daten eingespeist werden sollen. Der Computer hatte eine Panne nach der anderen. Der Datenaustausch zwischen den nationalen Polizeien funktionierte erst, als Bonn ein Halbjahr lang turnusgemäß den Vorsitz der Schengen- Unterzeichnergruppe übernahm.

Doch dann kamen dem Pariser Innenminister Charles Pasqua schwere Bedenken wegen der „illegalen Immigration“. Als das Abkommen dann am 26. März 1995 – nach jahrelangen immer neuen Verzögerungen wegen Mauerfall, Wiedervereinigung, Jugoslawienkrieg – schließlich in Kraft trat, briet Frankreich wieder eine Extrawurst. Die Regierung in Paris dekretierte im Alleingang „drei Monate Testphase“ für das internationale Abkommen, das sie im Juni 1991 als erstes Land ratifiziert hatte. Außerdem verlangte sie zusätzlich zu den vereinheitlichten Schengen-Visa eine „Grenzübertrittserklärung“ von Besuchern aus Drittländern und untersagte den Polizeien der Nachbarländer abkommenwidrig die „Nacheile“: die Verfolgung von flüchtigen mutmaßlichen Straftätern über die französische Grenze hinweg.

Während der Bundesgrenzschutz und andere nationale Grenzschützer ihr uniformiertes Personal ins Hinterland abzogen, wenngleich die „Zivilen“ natürlich blieben, versahen die offiziellen französischen Grenzer unbeirrt ihren Kontrolldienst. Dann wurde die „Testphase“ auch noch verlängert. Inzwischen ist sie Dauerzustand geworden. Die Gründe dafür sind unverändert und werden, mal vom Präsidenten, mal vom Innen- oder Außenminister in Paris, immer wieder in die Debatte geworfen: Die Grenzöffnung, so behaupten sie, erleichtere die „illegale Einwanderung“. Sie fördere den Drogenhandel, zumal Holland mit seiner sanften Drogenpolitik mit zum Schengen-Bund gehört. Und sie erleichtere den Terrorismus.

Gelegentlich gerät in die französischen Debatten über Schengen ein Zungenschlag, als seien die anderen Unterzeichnerstaaten nicht Partner, sondern Gegner. So sprach der neogaullistische RPR- Senator Paul Masson am ersten Jahrestag der offiziellen Grenzöffnung von den Niederlanden als „Land des Drogenhandels, das nichts tue, um die Drogenexporte zu stoppen“. Und während der Terroristenjagd in der zweiten Hälfte des Jahres 1995 zogen Politiker in Paris über die Regierungen in Bonn (aber auch die in London und Stockholm) her, als seien diese für die Attentatswelle verantwortlich. Tatsächlich aber gelang es der französischen Justiz nie, genügend Material zusammenzustellen, um eine Verwicklung der angeblichen „Drahtzieher“ im europäischen Ausland in die Attentate in Frankreich zu belegen. Auslieferungen kamen so nicht zustande.

Statt auf die Schengen-Partner besann sich Frankreich auf seine eigene Kraft. Zweimal seit 1995 setzte es die landesweite antiterroristische Aktion „Piratenwache“ in Gang. Tausende von Polizisten und Militärs wurden zu Personen- und Pkw-Kontrollen und zur Sicherung der Verkehrswege, Flughäfen und Bahnhöfe abgestellt. Ihre Arbeit ist besonders systematisch bei „ausländischen“ Gesichtern. So wurde die mitteleuropäisch hellhäutig durchs Leben laufende taz-Korrespondentin kein einziges Mal kontrolliert, während arabischstämmige, in Frankreich geborene Kollegen die Papiere oft mehrmals täglich zücken müssen.

Die Effizienz der „Piratenwache“ – die seit dem neuerlichen Metro-Attentat im vergangenen Dezember wieder funktioniert – als Mittel im Kampf gegen den Terrorismus ist umstritten. Offiziell wurde kein einziger Verdächtiger auf diesem Wege verhaftet. Als Instrument im Kampf gegen die „illegale Immigration“ hingegen scheint die „Piratenwache“ effizienter: Tausende von Abschiebungsanträgen seit 1995 gehen auf ihr Wirken zurück.

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