piwik no script img

„Ich will weltberühmt werden“

Pascal von Stocki ist 15 Jahre alt, spielt am Klavier wie ein zweiter Mozart, gilt als Wunderkind und lebt wie selbstverständlich für seine Karriere  ■ Von Thomas Loy

Eine Partie Pool-Billard mit dem Wunderkind. Das gehört zu einer Home-Story mit dem 15jährigen Ausnahmepianisten Pascal von Stocki dazu. Bisher habe er gegen Medienleute immer gewonnen, sagt einer, der sich nur als Sieger kennt. Diesmal kommt es anders. Ein paar überhastete Stöße, mehrfaches Pech, und die schwarze Kugel ist im falschen Loch. „Macht nichts“, sagt er jetzt. Es war ja nur eine Partie – normalerweise würde er so lange weiterspielen, bis das Turnier für ihn entschieden ist.

Billard, Badminton, Basketball, Tanzen, Tennis – Pascal gehört überall zu den Gewinnern, „ein Multitalent“, resümiert seine Mutter. Doch am produktivsten wirken seine Hände am polierten Steinway&Sons im Wohnzimmer. Aufrecht sitzend, die Augen auf den Tasten, spielt er das Scherzo b-Moll von Chopin. Es gefällt ihm, weil es Volumen und Dramatik hat. Er spielt es sicher und fehlerlos – innere Anteilnahme, gar Emotionen sind nicht spürbar.

Von seinen 15 Lebensjahren hat Pascal von Stocki 11 mit dem Klavier verbracht. Schon mit zwei Jahren soll er nach einem Pianoforte verlangt haben, zwei Jahre später erfüllte ihm sein Vater den Wunsch, wenn auch widerstrebend. Was soll ein Vierjähriger mit einem Klavier? Doch schon im Musikgeschäft, so heißt es in den Überlieferungen aus einer Zeit, an die sich Pascal selbst kaum erinnert, habe er sich an ein Klavier gesetzt und gezeigt, warum. Seitdem erhält er Privatunterricht. Mit acht gewinnt er den 37. Steinway-Wettbewerb, mit zehn den Landeswettbewerb Jugend musiziert. Heute gibt er eigene Konzerte, spielt Beethoven, Liszt, Chopin, Rachmaninow im ehemaligen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, in der Philharmonie, gibt Gastspiele im In- und Ausland. Für nächstes Jahr ist ein Konzert im Louvre in Paris geplant. „Ich will weltberühmt werden“, sagt Pascal von Stocki, hebt die Arme und begeistert sich an seinen eigenen Worten. Ein Wunderkind? „Jeder Komponist ist eine Art Wunder“, doziert er gelassen, und: „Ich bin eigentlich ganz normal.“

Doch die Wände seines Elternhauses widersprechen: Jeder Quadratmeter ist mit Fotografien des einzigen Sohnes bedeckt: Pascal am Klavier, Pascal mit Papa, Pascal mit Harald Juhnke, Günther Jauch, Thomas Gottschalk, Caroline Reiber, Karl Dall, Edith Hanke. Und mehrfach im Großformat: Pascal als kleiner Mozart mit Perücke und Rokokomantel. Auch seine eigenen Zimmer in der luxuriösen Villa in Zehlendorf sind mit Andenken, Geschenken seiner Fans, Urkunden, Zeitungsausschnitten und unzähligen Pascal- Fotos bestückt. Pascal sieht immer nur Pascal. Mit dem Wort Personenkult kann er nichts anfangen. Ihm sei das alles egal.

Um das Haus, die Einrichtung, die nötige Pflege bis hin zum Aufräumen kümmert sich seine Mutter – vor jedem Pressetermin werden alle Zimmer inspiziert. Die Plüschtiersammlung wird ordentlich drapiert. Das Haus wirkt wie eine perfekt inszenierte Heimstatt der klassischen Musik. Hier vertieft sich Pascal in seine Musik. Daß seine Altersgenossen zeitweilig gegen ihre Eltern rebellieren, in Techno- Discos flüchten, sich in zerrissenen Jeans und mit Spraydosen ihre Andersartigkeit unter Beweis stellen, läßt ihn kalt. Discos sind ihm entschieden zu laut, und die Sprüherei sei doch Sachbeschädigung. Mit seinen Eltern verstehe er sich ausgezeichnet. Sie tun alles für ihn – er tut alles für seine Karriere, mehr erwarten sie eigentlich nicht voneinander.

Pascal ist eigentlich schon lange erwachsen geworden. Er übt nach der Schule und den Hausaufgaben mindestens drei Stunden am Klavier und erhält Dirigentenunterricht. Auch im Schlaf lerne er noch Partituren, ganz unbewußt.

Und dann natürlich die Medienarbeit. Pascal und seine Mutter spielen auf dieser Klaviatur nicht minder erfolgreich. Interviews gebe er viele und gern, sagt er. Beim Fototermin entwickelt sich bei ihm ganz automatisch ein Lächeln. Letztens habe ihn Manfred von Ardenne zu seinem 90. Geburtstag eingeladen, ein beeindruckender Mann, so Pascal, und sehr nett. Überhaupt seien die Prominenten, die er auf Bällen, Empfängen und Konzerten so treffe, „alles nette Leute“, von Karel Gott bis Ivan Rebroff. Pascal ist ausgesprochen höflich, bedankt sich für alles, auch für verlorene Billardspiele. Einen verzogenen Stoß seines Gegenübers kommentiert er immer mit „guter Schlag“, während er für seine eigenen Fehlschläge nur ein „lächerlich“ oder „peinlich“ übrighat. Er möchte bescheiden wirken, nur ja nicht wie viele vor ihm Hoffart und Arroganz ausstrahlen.

Das Wunder am Klavier geht in die 9. Klasse eines Zehlendorfer Gymnasiums. Den Namen verrät er nicht, wegen „Entführungsgeschichten“. Vor allem sein Vater, ein „sehr, sehr guter Architekt“, habe Angst vor negativen Begleiterscheinungen zu großer Popularität. Die Schule nimmt in Pascals Leben eine untergeordnete Rolle ein, wichtiger ist ihm der Privatunterricht. Daß er von 12 Einsen und 6 Zweien in der 6. Klasse auf den Bereich zwischen 2 und 3 abgerutscht ist, scheint ihn nicht zu wurmen, es entspricht schließlich auch dem Verlauf einer normalen Schulkarriere. Er sei ein ruhiger Schüler und denke eben ab und zu ans nächste Konzert, wenn es im Unterricht um das Scheitern der Weimarer Republik gehe. Allerdings läßt er auf kein Fach etwas kommen, als ob die Höflichkeit verlange, jedem Sujet mit Achtung zu begegnen.

Pascal hat sich im Griff. Ganz selten blitzt einmal jugendlicher Leichtsinn durch, etwa wenn er aufs Luftgewehrschießen kommt, worauf er sich ebenfalls bestens verstehe. Im Sommer schieße er schon mal auf die Tomaten im Garten. Auf meinen Einwand, dabei könne man ja auch mal den Nachbarn erwischen, folgt unvermutet der Halbstarkenspruch: „Ein Auge mehr oder weniger, was macht das schon?“ Nach einer Schrecksekunde korrigiert er sich schnell. Das habe er natürlich nicht ernst gemeint.

Pascal lebt für seine Auftritte und für seinen Ruhm, den sie ihm einbringen. Zwar sei er vorher jedesmal aufgeregt, aber dann brenne er nur noch für die Musik. Leistungsdruck, Erwartungsdruck, Überforderung, Versagensangst – diese Begriffe aus der Populärpsychologie sind ihm gänzlich fremd. Er kennt schließlich nichts anderes, als Erfolg zu haben. „Er hat Nerven wie Drahtseile“, sagt seine Mutter anerkennend. Und er wird reichlich belohnt. Der letzte Akkord, der Rausch des Beifalls, die Schar der Gratulanten – „dann bin ich im siebten Himmel“. Nach dem Auftritt fallen Unmengen Blumen und Geschenke an. „Du bist wunderbar“, steht auf einem stilisierten Tintenfaß mit herzförmigem Auswuchs in seinem Schlafzimmer. Schachtelweise hebt Dana von Stocki die Fanpost auf. Jemand bittet in sauberer Handschrift um ein Foto für seine „Chronik der besten und auch beliebtesten Künstler.“ Andere schicken vorgedruckte Autogrammanfragen. Einige haben Pascal bereits als ihren Lieblingspianisten erkoren und reisen seinen Konzerten hinterher. Auf der Straße wird er manchmal angesprochen. So ein Rummel muß doch nerven? Nein, das finde er schön, beharrt Pascal.

Vor Bewunderern fürchtet er sich nicht, Kritiken liest er nicht. Seine Mutter resümiert für ihn das – meist positive – Presseecho. „Mich interessiert nur, ob mein Name richtig geschrieben ist“, tönt Pascal, während er in seinem Dachbodenspielzimmer vor der Wand mit Zeitungsausschnitten seltsam unruhig auf und ab läuft. Da kroch sie für einen kurzen Moment aus ihrem Versteck, die Arroganz, von ihrem Dompteur gänzlich unbemerkt. Doch wie das Abheben vermeiden, wenn einem von fachkundiger Seite (Dirigent Carl A. Bünte) bescheinigt wird, man verfüge über eine „ganz ungewöhnliche Begabung“ und werde „tiefer in die Musik eindringen als Karajan“? Pascal hält sich mittlerweile an entsprechende Vorbilder: Leonard Bernstein, Wilhelm Furtwängler, Daniel Barenboim.

Doch einen gravierenden Nachteil hat der junge Ruhm auch schon für Pascal gebracht. Mit einer Freundin habe es bisher noch nicht wunschgemäß geklappt, gibt er offen zu. Die Mädchen hielten Distanz, weil sie die Lästermäuler ihrer Freundinnen fürchteten, diagnostiziert Pascal. Im Urlaub sei alles einfacher, wenn man ihn nicht kennt. Jedenfalls stemmt er regelmäßig Hanteln, um seine Chancen zu mehren, und hofft darauf, daß der richtig große Ruhm die kleingeistigen Neiderinnen zum Verstummen bringt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen