: Socialism of the Heart
■ Billy Bragg mit erfrischendem Musik-Agitprop im Modernen
Die Verhältnisse haben sich ziemlich geändert seit Billy Bragg in den 80ern zu einer der markantesten Stimmen im britischen Pop-Geschehen wurde. Der rigide Neoliberalismus der Thatcherära, der Großbritannien ein anderes soziales Antlitz verpassen wollte, hat sich trotz vielfältigen Widerstands durchgesetzt. Daran konnte auch die von Bragg mitinitiierte „Red Wedge“-Bewegung, in der MusikerInnen wie Bragg, Paul Weller oder Lloyd Cole die Stimme gegen Sozialabbau und Deregulierung erhoben, nichts ändern.
Der Kalte Krieg ist beendet, die realsozialistischen Staaten sind von der Bühne gefegt. Die europäische Linke liegt am Boden und es scheint heute absolut unzeitgeistmäßig, sozialistische Utopien zu propagieren, obwohl die sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen seit Ende der 80er die Aktualität von Kapitalismuskritik auf irritierend offensichtliche Weise belegen.
Dennoch oder vielleicht gerade deshalb war der Publikumsandrang erstaunlich hoch, um den nach fast fünfjähriger Abstinenz wieder auftretenden Sänger und Gitarristen zu hören. Unter den ZuhörerInnen tummelten sich nicht nur eingeschworene Fans, die ältere Stücke nach den ersten Akkorden erkannten und begrüßten, sondern auch viele jüngere, die den politisch ambitionierten Post-Punk-Folker erst später entdeckt haben können.
Unbeeindruckt vom Zeitgeist bot Bragg sein Programm aus undogmatischen Politsongs, in denen er Persönliches wie die berühmte Suche nach „just another girl“oder dem darauf folgenden Liebeskummer mit politischen Statements verknüpft. Sich selbst mit wenigen harschen Akkorden auf der E-Gitarre begleitend, sang er sich durch ältere und neue Stücke. Darunter alte Hits wie „Levi Stubbs' Tears“, „You woke up my Neighbourhood“oder „Sexuality“, Stücke von seiner letztjährigen CD „William Bloke“sowie die neue Single „The Boy done good“.
Immer noch mit dem typischen, harten nordenglischen Arbeiter-Akzent und in den Zwischenansagen humorig plaudernd oder politisch agitierend. Beides kam beim Publikum gut an. Als er zum trotzigen Refrain „I've got a socialism of the heart“im Song „Upfield“, ausführte, daß Sozialismus so aktuell wie je sei, weil „capitalism doesn't work“, soziale Sicherheit, ein gerechtes Gesundheitssystem, preiswerte Wohnungen und eine erschwingliche und gute Bildung für alle ihm noch immer wichtige Werte seien, wurde das mit viel Beifall quittiert, ebenso wie sein in der Zugabe gebrachtes Gewerkschaftskampflied „There is Power in a Union“.
So geriet der zweistündige Auftritt des sympathischen und unverkrampft gegen die herrschenden Zustände ansingenden Briten auch zu einem keineswegs nostalgischen Aufruf, an der Utopie einer gerechteren Gesellschaft festzuhalten. Oder, wie es mal jemand anderes ausgedrückt hat, „alle Verhältnisse umzustoßen, in denen der Mensch ein geknechtestes, ein erniedrigtes Wesen ist“. Arnaud
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen