piwik no script img

Miniaturlandschaft mit Maus

Künstlerinnen in Berlin (V): Christine Schlegel experimentiert mit Filmübermalungen  ■ Von Cornelia Gerner

Ein strahlender Himmel erhebt sich über der stillgelegten Goldmine. Die Figur, die sich darin bewegt, gleicht ihrer Umgebung. Die Haut ist mit Lehm überzogen, ihr Körper wirkt modelliert. Geschmeidig steigt sie eine Betontreppe hinauf und blickt von oben über eine Brüstung. Der haarlose Schädel schiebt sich wie losgelöst vom übrigen Körper am Geländer entlang.

Christine Schlegel zeigt ihren Film „Rodarquilar“, den sie 1992/93 in Andalusien mit Hilfe der Kurzfilmförderung des Kulturfonds Berlin und des Landes Brandenburg gedreht hat. Zehn Jahre vorher war ihr Filmdebüt „Pergamotten“ entstanden, das sich aus der gemeinsamen Arbeit mit der Theatergruppe SUM in Dresden ergab, zu der auch Musiker, Schauspieler und Dichter gehörten. „Ich habe damals gemerkt, daß ich keine Schauspielerin bin, ich konnte nicht vor einer Öffentlichkeit spielen.“ So spannte sie Transparentwände und bemalte sie von hinten, während die anderen davor spielten und Musik machten. „Pergamotten“ zeigt eine Tänzerin, die sich langsam vor der nach und nach zugemalten „Transparentwand“ bewegt. Am Schluß wickeln sich Malerin und Tänzerin darin ein. Von den Aktionen der 70er Jahre, die im Westen stattfanden, hatte sie damals keine Ahnung: „In der DDR ging es immer um die eigene Befindlichkeit, nicht um das, was in der Welt passierte. Man guckte nicht auf die anderen.“ Das meiste ist einfach so passiert, ohne Dokumentation und ohne daß es heute nachweisbar wäre. Christine Schlegel legt eine andere Kassette ein: wieder einen Tanzfilm, diesmal aber durch Kratzen und Übermalen verfremdet. „Eine wahnsinnige Arbeit, denn es müssen mindestens 48 Filmbilder in etwa gleich übermalt werden, damit es einen Sinn ergibt.“ Und das bei einem 8-mm-Film von 400 Meter Länge.

Mit Filmübermalungen ist Christine Schlegel auch jetzt beschäftigt. Seit 14 Tagen sitzt sie im Trickfilmstudio an ihrem dreiteiligen Film „Wandlungen“ – erneut eine Arbeit mit der androgyn anmutenden Fine Kwiatkowski, die heute in Wiesbaden Theater macht: „Sie ist meine Figur. Die anderen“ – gemeint sind Tänzerinnen, mit denen Schlegel früher filmte – „waren immer Notlösungen.“

Christine Schlegel, Jahrgang 1950, wurde in Crossen geboren und lebte ab 1956 in Dresden. Ohne Jugendweihe, Jungpionier- und FDJ-Mitgliedschaft, durfte sie das Abitur nicht machen. „Daß ich später studieren konnte – natürlich nur Malerei – lag an was anderem. Ich galt als besonders begabt“, erzählt sie und lacht.

Nach ihrem Diplom 1978 an der Hochschule für Bildende Kunst Dresden – das die Künstlerin nicht ohne weiteres bekam, weil sie Porträts, Landschaften, Objekte und Erfindungen zeigte, statt das verlangte Gruppenbild mit sozialistisch-realistischem Inhalt abzuliefern – hatte Christine Schlegel bald erste Ausstellungen mit Malerei, Grafik, Foto- und Objektkunst. Später kamen die Filme und Performances hinzu, als sie 1984/85 vom tristen Dresden nach Ost- Berlin zog. Anderthalb Jahre später konnte sie aufgrund einer fingierten Heirat nach Amsterdam ausreisen.

Inzwischen geht die Liste ihrer Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen über einige Seiten: Galerie Eigen+Art Leipzig ist da zu lesen, Albertinum Dresden, das Berliner Haus am Waldsee oder die Galerie Bodo Niemann. Von September bis Dezember findet die große Ausstellung „Boheme und Diktatur in der DDR“ im Deutschen Historischen Museum statt, bei der auch einige ihrer Arbeiten zu sehen sein werden.

Auf dem Tisch liegen mittlerweile Stapel von Künstlerbüchern, die Christine Schlegel gemacht hat, außerdem Abbildungen von Familienfotos aus den fünfziger Jahren, die sie nun als Basismaterial für nachgestellte Fotos verwendet. An den „Reservaten“, den Terrarien und Aquarien, mit denen sie seit Anfang der neunziger Jahre in immer neuen Variationen arbeitet, bleibt der Blick hängen. Es handelt sich dabei um Miniaturlandschaften in Glaskästen, die Grillen, Mäuse und Fische beherbergen. Intakte Mikrokosmen, utopische Modelle. „Es gibt keinen Urnaturzustand mehr, nur noch Reservate. Alles ist registriert, abgegrenzt und dadurch künstlich.“ Anläßlich der Ausstellung „Panzerhalle“ in Groß Glienicke 1996 zeigte die Künstlerin eine große Zahl Keilrahmenbilder zum gleichen Thema: grobkörnige, übermalte Fotos von Tierpräparaten auf Leinwänden.

Seit 1994 hat Christine Schlegel in der Kaserne Groß Glienicke ihr Atelier, wo sie vor allem malt. „In dieser Wildnis fühle ich mich wohl“, erzählt sie. Hier entstehen großformatige leuchtende Bilder, die ihre surreal anmutenden Formen über die Fotomontagen gefunden haben: „Ein 200x180cm großes Bild zu bewältigen, ist für mich immer noch die größte künstlerische Herausforderung.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen