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Wilde Gesten mit verschiedenen Fingern

■ Plädoyer für ein bißchen mehr gegenseitiges Verständnis auf unseren Straßen

Wie wäre es, wenn ich als Radfahrer von allen Autofahrern als menschliches Wesen akzeptiert würde? Noch niemals bin ich in der U-Bahn oder Kneipe angeschnauzt worden, weil ich einen Platz besetzt hätte, den jemand anderes haben wollte. Auf der Straße passiert mir das häufiger.

Da wird der Kraftfahrer zum Kraft-Fahrer: nicht nur die Ausdrücke, das Gehupe, die sicher hart erarbeiteten Gesten mit verschiedenen Fingern. Nein, das gesamte Auto wird als Waffe eingesetzt! Überholen mit knappestem Seitenabstand, Wiedereinscheren direkt vor dem Fahrrad, scharfes Bremsen sofort nach dem Überholvorgang. Man wundert sich immer wieder, wie aus eigentlich recht normal wirkenden Menschen von einem Moment zum anderen gefährliche Täter werden.

Wenn hier nicht von Autofahrerinnen die Rede ist, sondern nur von Autofahrern, dann deshalb, weil die Damen tatsächlich dieses Verhalten gegenüber den von mir dazu befragten AlltagsradlerInnen noch nicht an den Tag gelegt haben. Sehr angenehm.

Woran liegt nun aber das Ausrasten so manches Fahrers? Einfache Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gibt es nicht! Aktuelle Befindlichkeit, Termindruck, Verkehrsdichte und fehlende Kommunikationsmöglichkeiten mit den übrigen Verkehrsteilnehmern spielen wichtige Rollen. Ein meist übersehener Faktor für Aggressionen ist die Regelgläubigkeit der VerkehrsteilnehmerInnen: Schon als Kind haben wir doch gelernt, beim Überqueren der Straße nach links-rechts-links zu gucken, grüne Ampel ist gut, rote Ampel ist böse [Obwohl, wenn ich vor einer roten Ampel bremse und mich ein „tollkühner“ Pedalritter überholt und zügig über die gesperrte Kreuzung zieht, dann schwillt mir als Radler schon der Kamm! Und zwar nicht, weil ich mich für regelgläubig-trottelig halte! d. säzzer], Autos gehören auf die Straße, Räder auf den Radweg, FußgängerInnen auf den Gehweg und Kinder an die Hand. Wer dem zuwiderhandelt, wird in den Augen der so Gläubigen zum Gesetzesbrecher. [Falsch! Er gefährdet sich und andere! d. säzzer.] Klar, daß dem dann auch mit allen Mitteln gezeigt werden muß, wer „Recht“ hat.

Gefährlich: Unkenntnis gepaart mit Aggression

Nun bekommen Menschen, die nur ab und an am Wochenende aufs Fahrrad steigen, nicht mit, daß vieles eben gar nicht so klar geregelt ist. RadfahrerInnen werden in der Verkehrsplanung gerne vergessen. Nachträglich werden dann unter dem Etikett „Erhöhung der Verkehrssicherheit“ absurde und mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehbare „Verschlimmbesserungen“ umgesetzt, bei denen von vorneherein klar ist, daß sie nicht akzeptiert werden. Den Verantwortlichen geht es darum, daß alles geregelt ist und sie im Falle eines Unfalls nicht belangt werden können. Was RadlerInnen schon heute alles dürfen und wie differenziert die Gerichte beispielsweise die scheinbar so hundertprozentige Radwegebenutzungspflicht sehen, weiß der gemeine Autofahrer meistens ohnehin nicht.

Wenn die Unkenntnis dann bei dem einen oder anderen mit Aggressionsbereitschaft zusammentrifft, wird es für uns RadlerInnen gefährlich. Tatsächliche oder vermeintliche Regelverstöße werden zum Anlaß für Angriffe auf die Gesundheit der RadfahrerInnen genommen, was sich in den oben beschriebenen Verhaltensweisen äußert. Sprüche wie „Benutz gefälligst den Radweg – wofür zahl' ich denn Steuern?“ zeigen ganz gut, daß nicht der radelnde Mensch gesehen wird, sondern der Störfaktor, der die Fahrt des heiligen Bleches behindern könnte. So, als benutzten RadlerInnen aus reiner Boshaftigkeit die ihnen zugedachten Wege nicht, als wollten sie Autofahrer ärgern und sich selbst nur so zum Spaß gefährden.

Den Boden für diese Aggressionen bereitet nicht zuletzt die Medienberichterstattung zum Thema Rüpelradler. „Hat man einen Menschen oder eine soziale Gruppe erst einmal abgewertet, fällt es einem leichter, ihn oder ihr auch in Zukunft Schaden zuzufügen“, schreibt das Bundesministerium für Verkehr über die Aggressionsforschung. Weiter heißt es dort: „In der Umkehrung dieser sozialen Gesetzmäßigkeit verhindert Verständnis für andere das Auftreten aggressiver Verhaltensmuster.“ Ulf Dietze

Der Autor ist Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad- Clubs, Landesverband Hamburg.

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