Das Neue Zentrum im Schatten der Autobahn

■ Das NKZ war eines der größten Kahlschlagprojekte am Kottbusser Tor. Rüde Entmietungs- und Abrißpraktiken führten zum Widerstand der Anwohner

Ohne die hybriden Autobahnplanungen der fünfziger Jahre wäre das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ) nicht denkbar. Ganz im Sinne der auto(bahn)gerechten Stadt war vorgesehen, halb SO36 zwei Autobahnschneisen zu opfern. Eine Trasse sollte vom Görlitzer Park auf den Blöcken zwischen der Oranienstraße und der Naunynstraße zum Oranienplatz führen, eine zweite über die Grimmstraße und den Wassertorplatz nach Norden. Der Oranienplatz selbst war samt seinen Nebenstraßen als gigantisches Autobahnkreuz geplant, vor dem das „neue“ Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor städtebaulich geschützt werden mußte.

Konkret wurden die Planungen, als der damalige Regierende Bürgermeister Willy Brandt 1963 das erste Stadterneuerungsprogramm ins Leben rief. Wie im Weddinger Sanierungsgebiet Gesundbrunnen vorexerziert, sollte auch am Kottbusser Tor die Bebauung der Gründerzeit der Kahlschlagsanierung zum Opfer fallen. Das NKZ galt dabei als eines der größten Sanierungsvorhaben, das zur Not auch gegen den Widerstand der Anwohner durchgesetzt werden sollte. Um die Häuser im vorderen Teil der Dresdner Straße entmieten und abreißen zu können, hatten die Bauherren kurzerhand die Straße, auf der bis dahin zwei Straßenbahnlinien fuhren, gesperrt. Das Kalkül, eine ganze Straße zum Hinterhof des Kottbusser Tors zu degradieren, ging auf. „Bereits ein Jahr nach der Sperrung hatten 20 der 30 Einzelhändler ihre Geschäfte aufgeben müssen“, erinnert sich der ehemalige Kreuzberger Baustadtrat Werner Orlowsky, der damals in der Dresdner Straße ein Drogeriegeschäft betrieb. Wer nicht auszog, wurde schließlich „entmietet“, so daß dem Abriß der vorderen Dresdner Straße nichts mehr im Wege stand. Der Grund für die brutale „Straßenschlachtung“, wie der damalige Aktivist und heutige Masterplaner Dieter Hoffmann-Axthelm solche Sanierungspraktiken nannte, war der Zeitdruck, unter dem sich die privaten Bauherren befanden. Um die maximale Abschreibesumme aus dem damaligen Berlinfördergesetz zu erzielen, mußte der gesamte Bau bis zum Jahre 1974 abgeschlossen sein.

Wie kaum ein anderes Neubauvorhaben markiert das NKZ freilich auch den Beginn des Widerstands gegen die Kahlschlagsanierung. Nicht nur Einzelhändler wie Werner Orlowsky, sondern auch zahlreiche Mietergruppen, Stadtteilinitiativen und Studentenräte machten gegen die Abrißpolitik mobil. Beim NKZ hatten die Proteste immerhin insoweit Erfolg, als die Wohnungen nicht – wie ursprünglich vorgesehen – im freifinanzierten, sondern im sozialen Wohungsbau errichtet wurden. Das NKZ ist zugleich auch das letzte Relikt des Kahlschlags im Sanierungsgebiet Kottbusser Tor. Drei Jahre nach Fertigstellung des Wohnriegels (und ein Jahr nach der Pleite der Bauherren) leitete der städtebauliche Wettbewerb „Strategien für Kreuzberg“ den Beginn der behutsamen Stadterneuerung ein. An den Autobahnplänen wurde dagegen offiziell noch festgehalten. Erst im Flächennutzungsplan von 1988 nahm der damalige Stadtentwicklungssenator Jürgen Starnick (FDP) Abschied von der Zukunft Kreuzbergs als Autobahnzufahrt.

Spätestens seit der IBA 1987, mit der die Berliner Tugenden von Blockrandbebauung und Traufhöhe in Erinnerung gerufen wurden, galt das NKZ als „Planungssünde der jüngsten Vergangenheit“ und damit selbst als Sanierungsfall. Mehr als der Umbau des ehemaligen Parkhauses in der Dresdner Straße zur ökologischen Vorzeigekita war aber aufgrund des Widerstands der privaten Eigentümer nicht durchsetzbar. Uwe Rada