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Rebellen in Tudjmans Reich

Istrien wehrt sich gegen den kroatischen Nationalismus. Die Halbinsel hat im Lauf der Geschichte viele Herren gekannt. Heute strebt sie nach Autonomie  ■ Von Thomas Schmid

„Mein Großvater diente in der kaiserlich-königlichen Armee Österreich-Ungarns, mein Vater zog die italienische Uniform an, ich leistete meinen Militärdienst in Jugoslawien, und mein Sohn kämpfte als Soldat der kroatischen Armee für die Unabhängigkeit des Landes – vier Staaten, vier Uniformen, aber alle lebten wir im selben Städtchen.“ Giuseppe Rota, Rektor der italienischen Schule im kroatischen Hafenort Umag, erzählt die Kurzfassung seiner Familiengeschichte mit einem gewissen Stolz. Es ist eine ziemlich gewöhnliche Geschichte. Während anderswo ethnische Sauberkeit hoch im Kurs steht, hört man auf der großen Halbinsel im äußersten Westen des ehemaligen Jugoslawien immer wieder das selbstbewußte Bekenntnis: „Wir sind Bastarde“, manchmal ergänzt mit einem trotzigen „und wir wollen es auch bleiben“.

In der Tat gibt es in Europa wenig Gegenden, wo so viele Herrschaften so schnell aufeinanderfolgten wie in Istrien: Venezianer, Franzosen, Österreicher, Italiener, Deutsche, Jugoslawen. Alle haben sie Spuren hinterlassen, in der Architektur und in Denkmälern, in den Sprachen und in der Kochkunst, vor allem aber im kollektiven Gedächtnis der Menschen, und natürlich sind die jüngsten Spuren noch am frischesten.

„Wir haben immer nur Fremdherrschaft erlitten, man regierte uns aus Wien, Rom oder Belgrad, und nun aus Zagreb. Die Istrier haben den Staat bis hier“, sagt Ivan Jakovcić und hält die Handkante waagrecht zwischen Oberlippe und Nase. Der Staat, das ist die Zentralmacht in Zagreb, der Hauptstadt jenseits des Karstgebirges, das sind Präsident Franjo Tudjman und seine HDZ, die Regierungspartei, die alles kontrollieren will. Alles spricht dafür, daß sie bei den Kommunal- und Regionalwahlen am 13. April wieder eine Riesenschlappe erleiden wird. Gerade 15 Prozent der Istrier hatten ihr letztes Mal die Stimme gegeben. 72 Prozent aber hatten die von Jakovcić geführte „Istrische Demokratische Versammlung“ gewählt. Und so nimmt nun die IDS, wie sie sich abkürzt, 36 von 40 Sitzen im Regionalparlament ein und stellt in sämtlichen 42 Kommunen des kroatischen Teils Istriens den Bürgermeister. Fast schon kommunistische Verhältnisse. Nur, es waren demokratische Wahlen, und die IDS steht in Opposition zur Regierung in Zagreb.

Es ist vor allem eine Opposition gegen Zentralismus und Nationalismus. Die IDS fordert nicht nur für Istrien, sondern für alle Regionen Kroatiens mehr Autonomie von der Zentralmacht. Und da wittert der Autokrat Tudjman, der sich gern mit dem historischen Verdienst brüstet, seit dem mittelalterlichen kroatischen Königreich seinem Volk zum erstenmal wieder zu einem eigenen Staat verholfen zu haben, nur noch Sezession. Als Jakovcić öffentlich von einem Europa ohne Grenzen sprach, konterte der Präsident stante pede mit haarscharfer Logik: „Ohne Grenzen, also auch ohne Kroatien.“

„Während zu Titos Zeiten jede Schule ihren Direktor selbst bestimmte“, sagt der 38jährige Javkovcić, der nie dem Kommunistischen Bund Jugoslawiens angehörte und erst 1991 in die Politik eingetreten ist, „erledigt dies heute Tudjmans Erziehungsminister per Ukas.“ Natürlich geht es bei der Frage der Dezentralisierung auch ans Eingemachte. Gerade knapp zehn Prozent des in Istrien erwirtschafteten Sozialprodukts blieben in der Region, den Rest zocke Zagreb ab, behauptet der IDS-Mann. Den Einwand, daß Istrien immerhin vom Krieg verschont blieb, während andere Gegenden Kroatiens, Dalmatien und vor allem Slawonien, weithin zerstört wurden, läßt er nicht gelten. Das Geld werde statt in den Aufbau ziviler Infrastruktur vor allem in die Aufrüstung der Armee gesteckt.

Keine Frage, daß Istrien, das wegen seiner natürlichen Reize ein Devisenbringer erster Güte ist, Geld ans Hinterland abgeben muß. Aber auch Istrien wurde wirtschaftlich arg gebeutelt. Noch längst hat der Tourismus das Vorkriegsniveau nicht erreicht. „Natürlich ist es in Dalmatien schlimmer, aber wir leben hier in Istrien“, sagt Jakovcić und findet 30 Prozent für die Kommunen, 30 Prozent für die Region und 40 Prozent für den Staat eine gerechte Aufteilung der istrischen Einkünfte.

Solche Forderungen sind in Istrien, wo man auch schon bessere Zeiten gekannt hat, durchaus populär. Doch scheint der Erfolg der IDS nicht einfach im Populismus zu liegen. Die Sammlungsbewegung hat es verstanden, dem Nationalismus aus Zagreb Paroli zu bieten. Tudjmans völkischem Konzept von Kroatien als Staat der kroatischen Nation setzt sie das Konzept von Kroatien als Staat seiner Bürger, ob diese nun kroatisch oder italienisch oder serbisch sind, entgegen. Als das Regionsparlament vor zwei Jahren ein Statut verabschiedete, in dem die Rechte der Italiener festgehalten und die Zweisprachigkeit beschlossen wurde, rief Tudjman das ihm ergebene Verfassungsgericht an. Die Hälfte der Bestimmungen des Statuts wurde außer Kraft gesetzt. Minderheitenschutz sei Sache des Staates und nicht der Region, befanden die Herren der Justiz. In Istrien, das historisch ohnehin nie zu Kroatien gehörte, wurde dies weithin als Affront empfunden. Entsprechend positiv wurde der im November abgeschlossene kroatisch-italienische Vertrag aufgenommen, der in der Sache den Regionalisten recht gibt. Kein Wunder, daß sich immer mehr Kroaten der Halbinsel in erster Linie als Istrier fühlen.

„Die istrische Identität hat sich erst mit dem Ausbruch des neuesten Balkankriegs herausgebildet“, meint der Schriftsteller Fulvio Tomizza, „die Istrier waren plötzlich mit einer Grenze konfrontiert, die ihre Region in einen kleineren slowenischen und einen größeren kroatischen Teil aufspaltete. Es war wie ein Faustschlag.“ Und so hätten sie sich auf ihre gemeinsame Geschichte besonnen. Deren stumme Zeugen sind überall zu sehen: die steinernen Löwen des Heiligen Markus von Venedig, die Wehrkirche von Hrastovlje, die gegen die Einfälle der Türken gebaut wurde, die orthodoxe Kirche in Peroj, einem Dörfchen, das von Nachkommen der im 17. Jahrhundert eingewanderten Montenegriner bewohnt wird, die noch heute kyrillisch schreiben; und in einer Reihe von Dörfern im Cicarjia- Gebirge wird immer noch ein rumänischer Dialekt gesprochen. Es ist eine Geschichte von Auswanderung und Einwanderung.

„Bis zum Aufkommen des Nationalismus im letzten Jahrhundert“, doziert Tomizza, „hat man friedlich zusammengelebt.“ Am schlimmsten kam es dann in diesem Jahrhundert. „Wir müssen uns immer klar vor Augen halten, daß uns diese Leute nie mögen werden“, hatte Mussolini gesagt und die Slawen gemeint, „also dürfen wir keine Skrupel haben.“ So wurde in Istrien, das nach dem Ersten Weltkrieg an Italien fiel, bedenkenlos italianisiert. Zehntausende flohen ins neu entstandene Jugoslawien.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der endgültigen Festlegung der Grenze im Pariser Vertrag von 1954 flohen noch mehr, diesmal in die andere Richtung, diesmal die Italiener. Fulvio Tomizza war einer von ihnen, einer von etwa 300.000. Ihrem Drama hat er mit seinem Erstlingsroman „Materada“ 1960 ein literarisches Denkmal gesetzt. „Die Jahre, in denen die Italiener aus dem Land geekelt wurden“, erinnert er sich heute in seinem Landhaus bei Materada, einem kleinen Dörfchen im istrischen Hinterland, wo er aufgewachsen ist und in das er sich seit über zwanzig Jahren jeden Sommer zurückzieht, „waren Jahre voller Gemeinheiten, von Entwürdigung und verletztem Stolz.“ Hausdurchsuchungen, Festnahmen, Prügel waren an der Tagesordnung. Tomizzas Vater starb 47jährig an den Folgen seiner Haft.

Vor der „Istrischen Demokratischen Versammlung“ hat Tomizza großen Respekt, weil sie offensiv für die Multikulturalität Istriens eintritt und die etwa 30.000 verbliebenen Italiener vor dem kroatischen Nationalismus Tudjmans in Schutz nimmt. Doch noch ist der Kampf nicht gewonnen. „Diese verdammten Italiener“, „diese verdammten Slawen“, das seien Worte, die hier vielen auf der Zunge liegen und eben doch oft herausrutschten. Gefahr für ein friedliches Zusammenleben wittert der italienische Schriftsteller am ehesten bei den Italienern: „Die entdecken nun plötzlich alle möglichen Unterschiede zu den Kroaten und den Slowenen, viele möchten sogar eine Partei der Italiener gründen.“ Das würde wohl Tudjman gerade zupaß kommen.

In der Tat besteht das Regime in Zagreb schon längst darauf, daß die Bürger Istriens ein ethnisches Bekenntnis abgeben, wenn sie einen Personalausweis beantragen. Die Folgen sind fatal. „An den Schulen wird bereits ethnisch gesäubert“, schimpft Silvano Zilli, Vizebürgermeister von Rodinj (Rodigno), einem malerischen Städtchen an der istrischen Küste, „Tudjman möchte, daß nur Italiener italienische Schulen besuchen dürfen. Wir verlangen die freie Schulwahl für Kroaten wie Italiener.“ Wir – das ist die „Italienische Union“. In ihren 43 Gemeinden Kroatiens und Sloweniens sind über 30.000 Mitglieder eingeschrieben. Es gibt italienische Kindergärten, italienische Schulen, einen italienischen Fernsehsender im slowenischen Koper (Capodistria) und einen italienischen Verlag in Rijeka (Fiume). Umgerechnet sieben Millionen Mark gibt die Regierung in Rom für „Connazionali in Istria“, frei übersetzt „unsere Brüder und Schwestern in Istrien“, aus. Ein kleiner Ausgleich für erlittene Unbill, meint Zilli. Wie viele Istrier träumt auch der Italiener Zilli von einem „Europa der Regionen“, ohne Grenzen – mit oder ohne Kroatien.

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