: Die Kriegsopfer in Zaire lösen Kontroverse aus
■ Ein UN-Berichterstatter findet Massengräber im von den Rebellen beherrschten Ostzaire. Aber die Täter waren aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Rebellen
Berlin (taz) – Wieder einmal machen Greuelberichte über Massenmorde durch Zaires Rebellen die Runde. Anlaß ist die Rückkehr des chilenischen Juristen Robert Garreton von einer Reise in das von der „Allianz demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo/Ex-Zaire“ (AFDL) kontrollierte Ostzaire. Garreton besuchte zwischen dem 27. und 30. März im Auftrag der UN-Menschenrechtskommission vier Orte und sagte am Mittwoch: „Ich habe unzweifelhafte Beweise für Massengräber und Massaker.“
Er habe in Katale, Kibumba und Kilimanyoka auf Massengräbern gestanden, sagte Garreton. „In einigen Fällen heißt es, in einem Massengrab seien 50.000 Leichen vergraben, eine andere Quelle spricht von 4.800 und eine weitere von einigen hundert. Es ist noch nicht klar.“
Garreton will nun der Menschenrechtskommission empfehlen, eine umfangreiche Untersuchung einzuleiten. Dies ist auch die Forderung der AFDL, die dementiert, nach ihrer Eroberung Ostzaires einen Völkermord begangen zu haben. Entsprechende Behauptungen waren im März in Frankreich von einem französischen Missionsmitarbeiter lanciert worden. In einem von der Tageszeitung Libération dokumentierten Bericht war von „systematischen Massakern“ die Rede. Keine einzige unabhängige Organisation, weder in Ostzaire noch im Ausland, hat die Vorwürfe bestätigen können. Die französische Menschenrechtsgruppe Survie weist darauf hin, daß der Autor des Berichts engen Kontakt zu Sympathisanten ruandischer Hutu-Extremisten gehabt hat und in verschiedenen Versionen seines Dokuments unterschiedliche Zahlen nennt.
Das heißt natürlich nicht, daß die AFDL keine Menschenrechtsverletzungen begeht. Unabhängige Zeugen haben der taz berichtet, daß es bei der Verfolgung bewaffneter Gruppen immer wieder zu Übergriffen und Massakern kommt. Es ist so gut wie sicher, daß Tausende von Menschen bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen sind, an denen die AFDL beteiligt war – vor allem in der Region Masisi westlich der ostzairischen AFDL-Hauptstadt Goma. An diesen Kämpfen sind jedoch viele verschiedene Parteien beteiligt: Zairische Tutsi in der AFDL; zairische Hutu, die sich von 1994 bis 1996 mit den für den Völkermord in Ruanda verantwortlichen und dann nach Zaire geflohenen ruandischen Hutu-Milizen verbündet hatten; die Reste der ruandischen Hutu-Milizen selber und Milizen anderer Ethnien.
Robert Garreton selber erstellte schon im Oktober 1996 für die UNO einen Bericht über die ethnischen Konflikte in Ostzaire – also zu einem Zeitpunkt kurz vor dem Auftauchen der AFDL, als Zaires Tutsi selber noch Opfer von Vertreibungen waren. Damals schrieb Garreton, 750.000 Menschen seien um Masisi vertrieben worden. Die Hutu-Milizen seien „die Hauptverursacher der Gewalt“. Die AFDL-Rebellen rekrutierten sich zu Beginn vor allem aus vertriebenen zairischen Tutsi.
Als die Tutsi ab Ende Oktober 1996 nach und nach die Kontrolle über den Osten Zaires übernahmen, begingen die sich auflösenden Regierungstruppen und die zurückweichenden Hutu-Milizen zahlreiche Greueltaten. Ende Oktober berichteten UN-Mitarbeiter, fliehende zairische Soldaten schössen auf Hutu-Flüchtlinge und Dorfbewohner; Hunderte von entkräfteten Menschen seien auf der Flucht vor der marodierenden Armee gestorben. Nachdem die AFDL Anfang November Goma einnahm und am 4. November einen Waffenstillstand erklärte, setzten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen Hunderte von Opfern der Kämpfe in Massengräbern bei – die meisten Toten, so hieß es damals, waren Opfer der zairischen Regierungstruppen. Diese Massaker setzten sich fort, als die ruandischen Hutu-Milizen im November ihre Flüchtlingslager um Goma auflösten.
Am 7. November schrieb das UN-Menschenrechtsbüro in seinem Lagebericht: „Zairische Soldaten und ruandische Hutu-Milizionäre werden für die Tötung von Zivilisten verantwortlich gemacht, während sie nach Westen in das Landesinnere flüchten.“ Am 12. November berichtete der Korrespondent der britischen Times aus dem zuvor von den Hutu-Milizen geräumten Lager Katale, er habe Leichen von Müttern und Kindern gesehen, die offenbar bei lebendigem Leibe verbrannt worden waren. Immer wieder berichteten Flüchtlinge der UNO, ruandische Milizen würden jeden zu töten versuchen, der sich nicht ihrem Zug in das von Zaires Regierung gehaltene Gebiet anschlösse. Hilfsorganisationen warnten damals, unter den zur erneuten Flucht gezwungenen Menschen drohe ein Massensterben.
Wer also heute in Katale oder in Kibumba – einem anderen ehemaligen Flüchtlingslager – Massengräber findet, kann daraus nicht schließen, daß die AFDL verantwortlich ist. Die allermeisten Toten im ostzairischen Krieg gab es vor dem Einmarsch der Rebellen. Dominic Johnson
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