: Die Kunst des Erziehens
Das Seminar für Waldorfpädagogik in Hamburg bildet für einen fordernden Beruf aus und ringt mit Vorurteilen ■ Von Vanessa Ogle
„Erziehung“, sagt Tobias Richter, „ist eine Kunst, keine Wissenschaft.“Und die werde im Idealfall folgendermaßen erlernt: Das Hamburger Seminar für Waldorfpädagogik bietet, wie eine ähnliche Einrichtung in Kiel, eine zweijährige Vollzeitausbildung. Die TeilnehmerInnen bekommen Unterricht in der vor etwa 80 Jahren entwickelten Waldorfpädagogik, dazu in Zeichnen und Musik. In Eurythmie-Stunden lernen sie, sich nach Musik harmonisch zu bewegen.
Vom Pult auf die Tanzfläche also? Die 68.000 Waldorf-SchülerInnen in Deutschland profitieren davon, glaubt Tobias Richter. Schließlich erfahren die PädagogInnen am eigenen Leib, wie schwer das Lernen manchmal fällt und lassen im Unterricht Verständnis walten. Damit auch die Eltern Probleme ihrer Kinder begreifen, müssen LehrerInnen an Waldorfschulen pädagogische Elternabende geben, wo Väter und Mütter Klassen malen und zeichnen, um einen Einblick in die Unterrichtsinhalte zu bekommen (siehe Kasten).
Für Menschen mit einer lockeren Job-Mentalität, die „nur ihre Stunden abreißen wollen“, sei der Beruf nichts, meint Richter. Voller Einsatz sei gefragt. Vielleicht aus diesem Grund, vielleicht aus Skepsis dem Alternativ-Image der Schulen gegenüber: Viele PädagogInnen schrecken vor einer Ausbildung a la Waldorf zurück. Allein die Begegnung mit der Anthroposophie, der von Rudolf Steiner begründeten Geisteswissenschaft, weckt oft Mißtrauen. Tobias Richter vermutet: „Als Waldorflehrer, glaubten manche, müsse man darin eine Glaubenslehre sehen.“
Folglich ist der PädagogInnen-Bedarf der deutschen Waldorfschulen groß. Wegen des LehrerInnenmangels gibt es nur an 20 der insgesamt 162 Schulen in Deutschland Parallelklassen. Aus der Not heraus werden auch PädagogInnen eingestellt, die nicht nach dem Konzept von Rudolf Steiner, dem Gründer der Alternativschulen, ausgebildet sind. Sie werden bezahlt wie ausgebildete Waldorf-Lehrer, und damit schlechter als ihre KollegInnen an staatlichen Schulen.
Um LehrerInnen ein Umsteigen auf Waldorfschulen ohne Berufspause zu ermöglichen, bietet das Hamburger Seminar einen dreijährigen Abendkursus an. Voraussetzung ist eine abgeschlossene pädagogische Ausbildung oder etwa eine Tischlerlehre, um dann als Werklehrer zu unterrichten.
Ansonsten sind solche Spezialisierungen bei den Alternativschulen unüblich. Gerade in der Unterstufe, das sind die ersten acht Schuljahre, werden Klassen von nur einem Lehrer unterrichtet. Der gibt Mathematik und Biologie, Erdkunde und Deutsch. Nur für die Fremdsprachen springen KollegInnen ein. Heraus kommt für die PädagogInnen Kompetenz in mehreren Fächern, für die SchülerInnen die Gewöhnung an eine Person. Bis zum Realschulabschluß nach dem 12. Schuljahr arbeiten Waldorfschulen nach Steiners Konzept.
Umso krasser ist die Umstellung, wenn SchülerInnen im 13. Schuljahr das Abitur machen wollen. Um ihnen die gleichen Chancen wie an Staatsschulen zu bieten, muß auch der Abschluß dem staatlichen gleichen. Dafür verabschieden sich die Waldorfschulen zwangsweise von ihrem Lehrkonzept. Büffeln für die Prüfung ist einziger Programmpunkt, Lehrer- und SchülerInnen müssen sich auf ein anderes Lernsystem umstellen. Und wieder ist Lehren eine Kunst.
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