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Im Schatten des Schmutzwalls

Wo die Bude sich selbst überlassen bleibt: Zu Besuch in einer echten Beste-Klischee-Künstler-Single-Wohnung im Prenzlauer Berg  ■ Von Gunnar Leue

Der Platz für den Wimpel „25 Jahre antifaschistischer Schutzwall“ ist nicht unpassend, so an der Wand auf dem Klo. Bekanntlich hatte die Mauer vor über sieben Jahren aufgehört, für große Sauberkeit und Ordnung in der kleinen DDR zu sorgen.

Seitdem scheint auch in der 64-Quadratmeter-Wohnung von Peter Mandel, direkt unterm Dach eines noch nicht luxussanierten Hauses im Prenzlauer Berg, der Sch(m)utzwall gebrochen. Als würde sich der 33jährige Thüringer, der in den 80er Jahren nach Ostberlin kam, mit seiner Hütte am Wettbewerb „Beste Klischee- Künstler-Single-Wohnung“ beteiligen.

Die Zweizimmerbehausung ist mit sämtlichen Utensilien vermöhlt, die im Alltag eines durchschnittlichen mitteleuropäischen Haushalts irgendwann mal eine Rolle spielen. Von der CD bis zum Kondom.

Nur daß sie an diesem Ort nicht den Eindruck erwecken, als hätten sie ihren festen Platz im häuslichen Leben bereits gefunden. Im „Arbeitszimmer“ beispielsweise konkurriert ein Schlagzeug mit einem Wäscheständer um den kleinen Flecken Sonne hinterm Schreibtisch, auf dem etwas Computer- High-Tech dem rumpelkammerähnlichen Raum immerhin einen Hauch neuzeitlichen Charme verleiht.

Peter Mandel ist jedoch kein Mensch, der sich um die Korrespondenz der Dinge viele Gedanken macht. Die gehören bei ihm nämlich fast nur der Musik.

Weshalb die auch in jeglicher Form präsent ist: als Musikvideo, als Schallplatte, als Demo-Tape, als Poster, als akurat gerahmtes Schwarzweißfoto (David Bowie), als aufbewahrtes Konzertticket oder als Infoblatt zum Rio-Reiser-Songwettbewerb, bei dem mitzumachen Mandel gerade eine Berliner Amateurband überreden will.

Seinen Traum von der eigenen Schlagzeugerkarriere hat Mandel nämlich derzeit zugunsten anderer Musiker auf Eis gelegt. Momentan fungiert er als „Manager“ von einem knappen Dutzend Berliner Nachwuchsbands. Er besorgt ihnen Muggen und Kontakte zu einigen Studios.

Weil dies seine ganze Kreativität verlangt, ist für die Nebensächlichkeiten des Tagewerks wenig Zeit.

Pech für die heimische Flora, die oft an akutem Wassermangel leidet. Dafür denkt der studierte Kulturwissenschaftler aus Thüringen an die Natur, wenn es um das große Ganze geht – er trennt den Müll!

In der Küche steht eine winzige Biogut-Tonne. Auch Altpapier wird gesammelt. Und der Abwasch einer Woche (spart Wasser). Bis der dran ist, wird er in der Spüle wenigstens mit einem Lappen abgedeckt.

„Eigentlich bin ich nämlich häuslich erzogen worden von meiner Mutter. Die wäre wohl geschockt, wenn sie das hier sehen würde.“ Die Erziehung hinterläßt Spuren: Einmal wöchentlich findet eine Art Haushaltstag statt, mit Staubsaugen und Wäschemachen in der eigenen Waschmaschine.

Noch vor einiger Zeit war das ganz anders, die Aufräumintervalle wurden um so kürzer, je länger die Beziehung zur Freundin dauerte. „Die war ziemlich ordentlich, ja sogar penibel, es mußte immer aufgeräumt sein“, erinnert sich Mandel an die Ex. Das habe schon dazu geführt, daß er sich mit der Zeit schon etwas „angepaßt hatte“. Aber irgendwann nervte ihn das doch.

Seine wiedergewonnene Freiheit hat freilich auch Konsequenzen für seinen Freundeskreis. Aus Furcht vor den anschließenden Aufräumarbeiten finden kaum noch Feten statt, der Hausherr geht lieber auf auswärtige Partys. Die Erleichterung darüber, daß sie jetzt wieder mehr sich selbst überlassen werden, ist den Dingen seines täglichen Bedarfs fast anzusehen.

Ganz nebenbei bietet das chaotische Gefüge einen Vorteil: Es fällt kaum auf, daß das Ambiente von jeglicher Geschmackssicherheit befreit ist. Außer der Unordnung korrespondiert praktisch nichts miteinander, weder die weiße „Flachstrecke“ (eine Schrankreihe) mit dem braunen Cord-Leder-Sofa noch die modernistisch geschwungene Alustehlampe mit der plüschigen Deckenleuchte.

Es ist nicht so, daß Peter Mandel sich nichts Besseres vorzustellen vermag. Nur bietet seine momentane Finanzlage wenig Anlaß zur Berücksichtigung aktueller Trends in der Wohnraumgestaltung. „Wenn ich Geld hätte, würde ich renovieren“, sagt er mit Blick auf die ausladenden Wasserflecken an der Decke und das schon lange nicht mehr strahlende Weiß der Rauhfasertapete.

Leider haben seine Bands den Durchbruch noch nicht geschafft, sind seine Komparsenrollen bei „Wolffs Revier“ schlecht bezahlt und gibt es noch viel zu viele bessere Schlagzeuger als ihn.

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