: SPD/CDU bringen Naturschutz voran
■ Weserportsee und Brokhuchting: Zwei Kompromisse über Naturschutz-Projekte von der Umwelt-Deputation abgesegnet
Der Streit um Bremerhavens künstlichen „Weserportsee“, der vor 20 Jahren im Zuge von Bauarbeiten entstanden ist, geht zurück auf das Jahr 1989. Unter der Ampel-Koalition wurde das Naturschutz-Verfahren förmlich in Gang gebracht, aber die FDP stellte sich quer: Der kleine See liegt am Rande des Geländes der Carl-Schurz-Kaserne und des Hafengebietes, das bremische Häfenressort und die Handelskammer haben sich immer die Option auf die Fläche offenhalten wollen, auch wenn es konkret keine industrielle Verwendung dafür gibt. Auch das Hansestadt Bremische Hafenamt war gegen den Naturschutz – grundsätzlich und „wegen der Problematik der sich häufenden Wildunfälle in dem sonst befriedeten Hafengebiet“. Diverse Industriebetriebe fanden ganz allgemein, daß es „angesichts der fast schon katastrophalen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage Bremerhavens zu einer Unterschutzstellung an dieser Stelle“nicht kommen dürfe.
Die Bedenken sind heute dieselben. In der Deputationssitzung vor wenigen Tagen stimmte deshalb die aus Überzeugung zur CDU übergetretene Bremerhavener Abgeordnete Karin Tuczek dagegen – die SPD/CDU-Koalition war aber ansonsten geschlossen für den Naturschutz am Weserportsee. Als Gegenleistung hatte sie dem Naturschutzressort nämlich einen Kompromiß abgehandelt, der die Grünen auf die Barrikade treibt: „Um die Option Hafenenwicklung durch den Bau eines CT IV offenzuhalten, bittet der Senat das Umweltschutzressort, das Projekt Erlaß einer Verordnung über das Naturschutzgebiet Weddewarden nicht weiterzuverfolgen“. Die Umweltdeputierten willigten ein. „Da sind gerade Leute dabei, neu zu bauen“, schimpft die grüne Deputierte Lisa Wargalla. Wenn weiterhin drohe, daß das Dorf Weddewarden für den Hafenausbau plattgemacht werde, dann werde dort Stillstand einkehren. Das Umweltschutzressort habe einen zu hohen Preis für den Erfolg beim Weserportsee bezahlt, findet die Grüne.
Der zweite Naturschutz-Beschluß der Deputation im März hat das Prüfverfahren für ein Naturschutzgebiet „Ochtumniederung bei Brokhuchting“in Gang gebracht. Betroffen ist eine schon unter Vogelschutz stehende Fläche, die als Ausgleichsfläche für frühere Hafenausbauten und das GVZ deklariert ist. Die Deputation beschloß dabei, daß „die Schutzgebietsausweisung nicht mit negativen Auswirkungen auf die mögliche Planung eines Wohnbaugebietes verbunden sein darf“. Diese Kompromißformel läßt für später jede Deutung offen. Denn natürlich „beeinträchtigt“es die mögliche Wohnbebauung, wenn die nahe Naturlandschaft für Gassi gehen tabu ist. Andererseits ist die Wohnbebauung vor allem dadurch „beeinträchtigt“, daß die vorgesehenen Wiesen Überschwemmungsgebiet sind und für eine Wohnbebauung eingedeicht oder aufgeschüttet werden müßte. Zudem fehlt, worauf auch der Beirat in seinem einstimmigen Veto insistiert, in Brokhuchting jegliche Infrastruktur, die für eine Besiedlung dort gebaut – und finanziert – werden müßte. Eine teure Angelegenheit also, die Brokhuchtinger Wohnungsbau-Idee. Der Bausenator hat sein Auge lieber erst einmal auf die Osterholzer Feldmark geworfen.
Ob der Naturschutz einer kleinen Fläche in Brokhuchting die Bebauungspläne behindert oder erst ermöglicht, ist zudem aus einem anderen Grund offen: Mit dem Ziel, einen Teil der Ausgleichsflächen unter Naturschutz zu stellen, soll gleichzeitig die bei der EU als Nist- und Ruheplatz geschützter Vogelarten angemeldete Fläche deutlich reduziert werden. Ob das rechtlich und politisch geht, weiß heute niemand so genau. Eigentlich ist nach EU-Recht nämlich nicht ein Koalitionskompromiß entscheidend, sondern die Frage, ob die Vögel dort sind. Es könnte allerdings sein, daß die EU bei der Korrektur der für Brokhuchting angemeldeten Vogelschutzfläche ein Auge zudrückt und auf komplizierte Überprüfungen verzichtet, wenn ein wichtiger Teil der betroffenen Fläche sogar unter Naturschutz gestellt wird. K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen