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Gemütliche Fußgängerüberwege

■ „50 Ways to Kill Your Mother“: Ulf Harten und DM Trocken, alias Nillosan, stellen im Westwerk aus

Besondere Verdienste um das Hamburger Comic-Wesen erwarben sich Ulf Harten und DM Trocken als Gründungsduo der Initiative Comic-Kunst (I.N.C.) und alsmaster minds dreier denkwürdiger Gruppenausstellungen: Am Anfang war der Strich (1992), Comopoly (1993) und Ehrlich billig! (1995).

Die nächste I.N.C.-Großveranstaltung ist für August geplant. Jetzt schon zeigen Harten und Trocken ein Potpourri eigener Arbeiten – als „Nillosan“im Westwerk, zirka zehn Meter links neben den in der taz bereits heftig beworbenen hundert Ansichten der Speicherstadt von Martin tom Dieck.

Eine konsumentenfreundliche Kombination: Der vergleichende Besuch beider Ausstellungen sei hiermit ausdrücklich angeraten. Denn bei allen offensichtlichen Unterschieden in Optik und Arbeitsweise verbindet „Nillosan“und tom Dieck ihr Interesse an Comics als serieller Form. Sie respektieren die Tradition klassischer Comic-Geschichten, aber unterwerfen ihre Bilder nicht dem Zwang erzählerischer „Zusammenhänge“. Das ist nicht nur als ästhetisches Statement intelligent und sympatisch, sondern öffnet ihre Arbeiten überhaupt erst der Logik der Galeriewand: Wer betrachtet schon gerne Comic-Tableaux, die einen dann doch wieder zum Lesen zwingen – als handle es sich um ein aufgeblättertes Buch.

Doch während tom Dieck seine Serien und Querkombinationen sehr vieldeutig anlegt, bleiben Harten und Trocken fröhlich an der Oberfläche der Zeichen – und so konsequent, daß es auch der unbedarfteste Betrachter bemerken muß. Nicht nur, daß sie Comic-Bilder wie Piktogramme buchstabieren. Ihr Darstellerensemble rekrutieren sie direkt aus dem Verkehrszeichenpark. Man sieht Abenteuer mit sprechenden Ampeln oder dem gut behüteten Zebrastreifenmann. Und das kleine Mädchen vom „Vorsicht Kinder!“-Gebotsschild zeigt uns „50 Möglichkeiten, die eigene Mutter zu töten“.

Das klingt nach Achtziger-Jahre-Humor? Ein gewisser Hang zum Nostalgischen durchzieht die gesamte Ausstellung. Das Piktogramm, in neueren Comics als Schnittstelle zur Digitalisierung unterwegs (Chris Ware, Tom Tomorrow), allgemein gern als Zeichen der Zukunft gefeiert, pflegen „Nillo-san“als Symbol einer gemütlichen Vergangenheit. In ihren neueren Arbeiten kolorieren sie Fußgängerüberwegzeichen vergangener Design-Epochen mit dem klassischen Kotbraun aus der Reichsbahn. Und fügen Farbe und Textur derart gegen die „darstellenden“Teile des Piktogramms, als ginge es noch einmal, ein allerletztes Mal um nichts anderes als: Wie bekommen wir's im Bilde so minimalistisch wie möglich?

Schön, aber schade: Das würde man gern im entsprechend unzeitgemäßen Großformat sehen. Leider sind die Arbeiten von „Nillosan“meist bloß schreibmaschinenpapiergroß, gegen die raumgreifende Wanddeko von Stefan Albers gehen sie im Westwerk ein wenig verloren. Aber schon bei seinem nächsten Projekt, kein Zweifel, wird das dynamische Duo auch für dieses kleine Problem eine große Lösung gefunden haben.

Jens Balzer

„50 ways to kill your mother“. Comic-Ausstellung und Buch-Vorstellung vonNillosan (Ulf Harten, DM Trocken) und Stefan Albers, Westwerk, Admiralitätstr. 75, bis 13. April, täglich 16-20 Uhr, Sa 13-16 Uhr

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