: The A Train als Bummelzug
■ Der Standard als Rätsel: Das „Jeff Clayton Quartet“im KITO
Da hat endlich mal einer den Titel der Konzertreihe mit Ironie wörtlich genommen: „Rising Stars“sind die hochstrebenden Jungstars der amerikanischen Jazzszene, die durch die Kooperation einiger Clubs dem europäischen Publikum vorgestellt werden. Am Jackett von Jeff Clayton prangte während seines Auftritts das Emblem des Raumschiffs Enterprise, und Bassist Steve Kirby konnte es sich nicht verkneifen, seinem als Trekkie geouteten Bandleader zu empfehlen, sich doch zum Kometen Hale-Bopp zu beamen.
Auch sonst war vieles lockerer als bei den anderen Konzerten der Reihe. Denn während die meisten von Claytons Vorgängern sich mit streberhaft wirkender Ernsthaftigkeit bemühten, so konservativ wie nur möglich die alten Meister zu kopieren, ging Clayton viel souveräner mit seinen Vorbildern um. Dabei war gerade er am eindeutigsten als Nachfolger einer Jazzlegende zu erkennen, denn nicht nur wegen der imposanten Körperfülle und dem gleichen, hymnisch singenden Ton auf dem Altsaxophon wirkte Clayton wie eine Reinkarnation von Cannonball Adderley.
Wie dieser machte er auch gerne witzige Ansagen, und als ein Leitmotiv des Abends erwies sich seine Herausforderung an das Publikum: „Wir spielen jetzt den bekannten Song X, aber Sie werden ihn nicht erkennen!“So schwer war es allerdings nicht, „Summertime“hinter dem opernhaft vertrackten Arrangement oder „Song for my Father“in der Verkleidung des lauten, aggressiven Up-Tempo-Stückes zu entdecken. Und ob Claytons Bewertung der Hörfähigkeiten seines Publikums nun Überheblichkeit oder eine dramaturgische Finte war, mit der er seine Jazzrätsel nur interessanter machte, bleibt sein Geheimnis. Aber das schmälerte das Vergnügen an diesen gewitzt-abenteuerlichen Metamorphosen von altbekannten Songs nicht.
Ellingtons Hymne auf die New Yorker Expressbahnlinie „Take the A Train“wurde von Clayton zu einer gemütlichen Spazierfahrt mit dem Bummelzug („Keiner will schnell nach Harlem!“), und wie spontan Clayton mit den Standards spielen kann, zeigte sich gegen Ende des Konzerts, als er das Publikum sowohl das Instrument (die Altflöte) wie auch das Stück („Lover Man“) bestimmen ließ.
Nie merkte man die Anstrengung hinter diesen musikalischen Kunststückchen, und Clayton ist zum Glück auch keiner von den Jazzmusikern, die bei jedem Solo mit ihrer Virtuosität angeben. Sein Spiel war immer auf den Punkt präzise, sehr konzentriert und daher auch ungewöhnlich kurz: Während andere Jazzer mit Müh und Not vier oder fünf Songs in einem Set unterbringen, spielte diese Band bis zur Pause um die zehn Stücke, die alle ihre eigene Stimmung und Pointe hatten.
Und es herrschte durchweg eine ausgelassene, freundschaftliche Stimmung auf der Bühne. Das Quartett war wunderbar eingespielt: Pianist Tardo Hammer, Bassist Steve Kirby und Schlagzeuger Alvester Garnett bekamen genügend Freiraum für ihre Soli, und die romantische Ballade „Stella by Starlight“spielten sie sogar als einen der Höhepunkte des Konzerts im Grunde als Trio, denn Clayton beschränkte sich weise auf einige dezente Verzierungen auf der Flöte. Diesmal schien es nicht die übliche leere Phrase zu sein, wenn Clayton sagte, er hoffe, das Publikum habe genauso viel Spaß am Konzert wie die Musiker. Hochgebeamt wurde er allerdings dann doch nicht.
Wilfried Hippen
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